1.Könige 21,15 Vorstellungsvermögen

Der Autor der Königsbücher war kein Dilettant. Der konnte schreiben. Der war Profi.

Wenn so ein Profi dann Nebensächlichkeiten in den Text hineinschreibt, die der Leser längst weiß und die der eigentlichen Botschaft des Textes nichts Neues hinzufügen, dann darf man beim Bibeltext aufmerksam werden.

Dann will uns der Autor etwas sagen, und die Wiederholung der Nebensächlichkeit ist seine Art, etwas zu betonen.

Wenn Isebel hier also wiederholt, dass Nabot dem Ahab den Weinberg nicht für Geld geben wollte, dann wird deutlich, dass Isebel sich nicht vorstellen konnte, dass dieses Verhalten von Nabot einem edlen Motiv entsprang.

Es musste entweder Bosheit oder Starrsinn gewesen sein, und es ging ums Geld.

Isebel hat nie nachgefragt oder nachgeforscht, welchen Grund Nabot hatte.

Allein die Vorstellung, dass mein Handeln höheren Werten gelten könnte als mir selber, war für Isebel lächerlich.

Isebel kannte keine höheren Werte als sich selbst.

Ein Motiv zum Handeln, das jenseits ihrer eigenen Interessen lag, war für Isebel undenkbar.

Grund für die Undenkbarkeit

Darin wird aber die Einzigartigkeit unseres Gottes sichtbar.

Dass er völlig anders ist als die Götter der umliegenden Völker, die keinerlei Anspruch an das alltägliche Verhalten hatten; die keinen Einfluss auf den Lebensstil der Gläubigen nahmen. Die ebenfalls keine weiteren Werte als sich selbst kannten.

Seit das Judentum und das Christentum sich ausgebreitet haben, gibt es auch andere Religionen, die einen Verhaltenskodex kennen und den Anspruch erheben, in den Alltag der Gläubigen hineinzuwirken.

Zur Zeit Isebels gab es solche Religionen aber nicht, und seitdem in Europa Judentum und Christentum auf dem Rückzug sind, ist diese Vorstellung auch den meisten Europäern sehr fremd geworden.

Aber das ist eben das Besondere:

Das Ziel meines Lebens bin nicht ich.

Es gibt einen Gott, der so herrlich, so schön, so liebevoll ist, dass ich ihn für wichtiger erachten kann als mich selber.

(„Trachtet zuerst nach dem Himmelreich“, so hätte Jesus das gesagt.)

Und dieser Gott kennt ein paar Menschen, die in seinen Augen so herrlich, so schön, so liebenswert sind, dass Jesus diese Menschen für wichtiger erachten kann als sich selbst.

(Und sich darum an ihrer Stelle hinrichten lässt.)

Hat dieses ganze System eigentlich schon einmal jemand einen „Strudel der Liebe“ genannt?

Wenn nicht, mache ich das jetzt.

Ein Strudel der Liebe.

Für Isebel unvorstellbar.

Für Nabot Selbstverständlichkeit.