Jesaja 48,1-8 - der Götze des verringerten Unheils
Ja, um den soll es hier gehen: Um den Götzen des verringerten Unheils.
Und damit dieser Götze voll sichtbar wird, beschreibt Jesaja zuerst einmal die Gemeinde.
In allen Einzelheiten.
Er beschreibt, dass ein auf Gott oder Jesus bezogener Name an der Hauswand steht: Christuskirche. Heilig-Geist-Kirche. Erlöserkirche. Gemeinde Gottes. Oder „Gemeinde Christi“.
Jesaja beschreibt, dass wenn man das Gebäude betritt oder zu einem Hauskreis geht, dann liegen da Bibeln auf dem Tisch. Nicht Karl May oder Friedrich Nietzsche.
An den Wänden hängen Bilder mit Bibelsprüchen und nicht irgendwelche Parolen von Mao Tse-Tung, und am schwarzen Brett wird Werbung gemacht für christliche Veranstaltungen und nicht für Atomwaffen oder Panzerzubehör.
Jesaja weiß, dass in den Liedern, die gesungen werden, ganz oft Gott drin vorkommt, und wenn gebetet wird, dann wird Gott angesprochen, und da wird dann auch gesagt, dass Gott die einzige Hilfe ist und dass er darum helfen soll.
Also eine ausführliche Beschreibung der Gemeinde, und der Name Gottes und seines Sohnes ist allüberall. Bei Jesaja liest sich das so: Jesaja 48,1–2
1Hört dies, Haus Jakob, die mit dem Namen Israel benannt und aus den Wassern Judas hervorgegangen sind, die beim Namen des HERRN schwören und den Gott Israels bekennen, doch nicht in Wahrheit und nicht in Gerechtigkeit;
2ja, nach der heiligen Stadt nennen sie sich, und sie stützen sich auf den Gott Israels, HERR der Heerscharen ist sein Name:
Da wird also viel heilige Frömmigkeit vor sich hergetragen. Die religiösen Etikette sind eindeutig. Man definiert sich über diesen Gott, über seinen Sohn und die Bibel.
Historische Geschichte
Als nächstes erinnert Gott durch Jesaja diese Gemeinde daran, was er ihnen alles gesagt hat.
Also an das Wort Gottes.
In diesem speziellen Fall: Was Gott als Ereignis angekündigt hatte.
Und da gab es in der Geschichte Israels ja jede Menge angekündigter Ereignisse, aber insbesondere in der damals jüngeren Geschichte gab es die haufenweise Ankündigung der babylonischen Gefangenschaft mit allem, was dazu gehörte.
Und in dieser Gefangenschaft befanden die Israeliten sich jetzt, und jeder konnte sehen, dass das, was Jeremia im Auftrag Gottes angekündigt hatte, eins zu eins stattgefunden hatte.
Jesaja 48,3
3Das Frühere habe ich längst schon verkündet. Aus meinem Mund ist es hervorgegangen, und ich habe es hören lassen; plötzlich tat ich es, und es traf ein.
Man saß in Babylon, und man wusste, dass Gott das vorher angekündigt hatte.
Die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar war nicht ein Unfall der Geschichte gewesen. Das war Gottes angekündigter Wille gewesen.
Der Grund der Vorhersagen
Man kann sich eine Menge Gründe vorstellen, warum Gott die Ereignisse, die er stattfinden lassen wollte, vorher ankündigte.
Jesaja benennt hier nur einen Grund:
Der Hals der Israeliten war aus Stahl. Sie würden sich nicht vor Gott verbeugen, um ihm die Ehre zu geben. Dazu war der Hals zu unbeweglich.
Die Stirn der Israeliten war aus Eisen. Wir sagen heute: Ein Brett vorm Kopf. Oder ein Betonkopf. Da würde keine Erkenntnis durchkommen, um ins Hirn zu gelangen.
Die Tatsache, dass Gott die Ereignisse initiiert hatte, würden sie niemals akzeptieren und niemals in ihren Kopf lassen. Ja, man saß in der babylonischen Gefangenschaft, aber das war niemals Gottes Wille, sondern das war Pech. Oder ein Unfall der Weltgeschichte. Ein Versehen des Schicksals. Einfach dumm gelaufen. Mit Gott hatte das nichts zu tun.
Jesaja 48,4–5
4Weil ich wusste, dass du hart bist und dass dein Nacken eine eiserne Sehne und deine Stirn aus Erz ist,
5so habe ich es dir schon längst verkündet. Ehe es eintraf, habe ich es dich hören lassen, damit du nicht sagst: Mein Götze hat es getan, und mein Götterbild und mein gegossenes Bild haben es befohlen.
Nun sollte man eigentlich meinen, das Problem, dass den Götzen eine Handlung zugeschrieben wird, die in Wirklichkeit eine Handlung Gottes war, ist nun vom Tisch.
Ist es natürlich nicht.
Diese Leute haben das alles erlebt. Sie haben Gottes Wort gehört, und sie haben die Geschichte gesehen. Werden sie nun sagen: „Gott hat es gesagt, und es ist genauso gekommen“?
Nein, natürlich nicht. Jesaja 48,6
6Du hast es gehört, betrachte es nun alles! Und ihr, wollt ihr es nicht verkünden? Von nun an lasse ich dich Neues hören und Verborgenes, das du nicht kanntest.
Nein, wir werden nicht verkünden, dass Gott für die Zerstörung Jerusalems verantwortlich ist. So etwas würde Gott nie machen. Das ist ja gemein, das passt gar nicht zu Gott. In Wahrheit hat mein Götze das gemacht, weil er seiner Freundin beweisen wollte, dass er den Nebukadnezar in der Hand hat.
Nein, dass wir aus dem gelobten Land vertrieben wurden, das hat nicht Gott gemacht. So etwas würde Gott niemals machen. Das ist ja gemein, das passt gar nicht zu Gott. In Wahrheit hat mein Götze das gemacht, weil er lieber Götze am Euphrat sein wollte und nicht in Palästina.
Gottes Reaktion
Und weil diese Leute ein völlig falsches Gottesbild hatten, und weil sie nicht die Bohne bereit waren, ihr Bild von Gott zu verändern, darum bringt Gott jetzt etwas völlig neues.
Etwas, auf das sie nicht vorbereitet waren.
Etwas, mit dem sie nicht gerechnet haben.
Etwas, von dem sie keine Ahnung hatten, dass es so etwas gibt.
Etwas, das sie für völlig undenkbar gehalten hätten.
Nichts, das man hätte voraussehen können.
Nichts, wo man hätte sagen können: „Na, das war ja zu erwarten.“
Jesaja 48,7–8
7Jetzt ist es geschaffen und nicht schon früher und vor dem heutigen Tag. Und du hast nicht davon gehört, damit du nicht sagst: Siehe, ich habe es gewusst.
8Du hast es weder gehört noch gewusst, noch war dein Ohr früher schon geöffnet. Denn ich wusste, dass du völlig treulos bist und dass man dich »Abtrünnig von Mutterleib an« genannt hat.
Die Überraschung
Was Gott jetzt bringt, ist die Erlösung.
Die Erlösung aus der babylonischen Gefangenschaft.
Und zwar durch einen heidnischen König. Das war Cyrus von Persien.
Was natürlich unzumutbar war. Dass fromme Juden sich von einem Perser erlösen lassen mussten.
Bei Mose, da war es wenigstens noch einer der ihren gewesen, der sie aus Ägypten geführt hatte.
Aber Gott bleibt hart: Wer auf die Gebote nicht hören will, der kriegt jetzt die Erlösung.
Einige Jahrhunderte später noch viel krasser: Erlösung nicht durch einen heidnischen König, sondern durch einen Hingerichteten, den die jüdische Regierung zwar nicht für einen Heiden hielt, dafür aber für einen gottlosen religiösen Verbrecher.
Für einen Feind Gottes. Und von so einem wollte man natürlich auch nicht erlöst werden.
Das Wesen der Erlösung
Ach, man hatte gedacht, wenn man sich anständig benimmt in Babylon, dann darf man wieder zurück nach Jerusalem.
Wenn man die Gebote hält, dann wird Gott das segnen.
Wenn man das Richtige tut, dann darf man wieder ins gelobte Land.
Wenn man sich der Welt gegenüber anständig verhält, dann mag Gott einen.
Aber Gott macht jetzt etwas völlig anderes.
Etwas, das gar nichts mit unserem Verhalten zu tun hat.
Etwas, das man eigentlich nicht gebraucht hätte.
Etwas, wo man jetzt keinen Götzen reinbringen kann. Weil das jetzt sowas wie unverdiente Vergebung ist. Und derartiges können Götzen nicht. Weil die Götzen einem ja gar nichts zu vergeben haben. Da ist ja nichts.
Also Gott verkompliziert die Sache schon sehr.
Das Ende vom Lied
Es wird also Erlösung angekündigt und beschlossen.
Und nun? Ist alles gut?
Wird Frau Mustermann nun die Erlösung preisen und sich dankbar an ihr erfreuen?
Natürlich nicht.
Genauso wenig, wie Frau Mustermann gehorsam sein wollte, genau so wenig will sie Erlösung.
Frau Mustermann will weniger Unheil.
Sie will, dass die Kinder im Gazastreifen genug zu essen haben.
Und darum betet Frau Mustermann zu ihrem Götzen des verringerten Unheils, dass er den Kindern im Gazastreifen helfen soll.
Ja, sie nennt diesen Götzen „Gott“ oder „Vater“. Wie die Israeliten das goldene Kalb auch „die Götter, die dich aus Ägypten herausgeführt haben“ genannt haben, und wie man anlässlich der Aufstellung des goldenen Kalbes ein Fest „für den Herrn“ gefeiert hat und nicht etwa ein Fest für das Kalb (Exodus 32,4+5).
Trotz der Namensgleichheit ist es dennoch ein Götze.
Denn weniger Unheil führt nicht zu Heil.
Und obwohl weniger Unheil auf der Welt natürlich immer gut ist, ist Gottes Ziel nicht weniger Unheil.
Gottes Ziel ist Erlösung.
Und Erlösung besteht nicht daraus, dass alle genug zu essen haben.
Sondern Erlösung besteht aus „dem Glaubenden ist alles möglich“ (Mk 9,23), und Erlösung besteht aus der Abwesenheit von Sorgen, weil der Teufel besiegt ist und den Gläubigen überhaupt nichts mehr geschehen kann, über das man sich Sorgen machen müsste.
Gesundheit
Frau Mustermann bittet ihren Götzen des verringerten Unheils außerdem darum, dass er jemanden gesund machen soll. Aber Gottes Ziel ist nicht Gesundheit. Gottes Ziel ist Erlösung. Und die erkennt man nicht an guten Blutwerten, sondern „Wer zu diesem Berg sagen wird: Hebe dich empor und wirf dich ins Meer!, und nicht zweifeln wird in seinem Herzen, sondern glauben, dass geschieht, was er sagt, dem wird es werden.“ (Mt 11,23).
So geht Erlösung. Weil der Teufel das Richtige nämlich nicht mehr verhindern kann. Dem Teufel ist die Macht genommen. Das ist Erlösung.
Krieg
Und weil Krieg soviel Unheil bringt, darum bittet Frau Mustermann ihren Götzen des verringerten Unheils, dass er doch in der Ukraine eingreifen möge. Oder zwischen Thailand und Kambodscha.
Aber Gott ist eben nicht angetreten, das Unheil zu verringern, sondern das Heil zu bringen.
Und Heil besteht nicht aus verringertem Unheil.
Heil besteht aus „eure Freude soll vollkommen sein“ (Jh 16,24) und nicht aus „eure Trauer soll weniger werden“. Erlösung besteht aus Joel 3,1–2
1 Und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Greise werden Träume haben, eure jungen Männer werden Visionen sehen.
2Und selbst über die Knechte und über die Mägde werde ich in jenen Tagen meinen Geist ausgießen.
Die Sendung
Frau Mustermann weiß natürlich, was der Auftrag ihres Götzen des verringerten Unheils ist.
Frau Mustermann weiß, was ihr Götze von ihr verlangt.
Der Auftrag des Götzen des verringerten Unheils lautet: „Gehet hin in alle Welt und verhindert Kriege, Hunger, Krankheiten, den Klimawandel und den Faschismus.“
Für Gott hingegen sind Krieg und Hunger und Erdbeben und Malaria zweitrangig. Was Gott wirklich stört, ist die Sünde.
Der Krieg der Menschen gegen Menschen mag nicht schön sein, aber der Krieg der Menschen gegen Gott ist für Gott viel bedeutsamer.
Die Zukunft
Was die Zukunft angeht, sagt Jesaja: Frau Mustermann hat die Bibel gelesen und die Weltgeschichte betrachtet. Sie hat alles gesehen und gehört.
Trotzdem wird Frau Mustermann auch in Zukunft behaupten, dass die Wiedervereinigung Deutschlands, der Fall der Mauer, dass das ihr Götze getan hat.
Und wenn im Gazastreifen Frieden einkehrt und alle wieder genug zu essen haben, dann wird Frau Mustermann ebenfalls behaupten, das habe ihr Götze des verringerten Unheils getan, und sie wird ihm inbrünstig dafür danken.
Frau Mustermann wird sich auch in Zukunft Sorgen machen ohne Ende, und sie wird von Ängsten geplagt sein. Denn ihr Götze verringert zwar das Unheil, aber befreien kann er Frau Mustermann nicht.
Frau Mustermann wird auch in Zukunft wünschen und erwarten, dass die Probleme der Welt gelöst werden.
Und sie wird auch in Zukunft nicht verstehen, dass das größte Problem der Welt in Gottes Augen die Trennung zwischen Gott und Mensch ist.
Und dass Gott darum nicht Weltfrieden und Gesundheit und Klimarettung geschickt hat, sondern Erlösung.