Jesaja 50,4-11 – die aggressiven Müden

Das gesamte Kapitel Jesaja 50 richtet sich an eine ganz spezielle Zielgruppe: Nämlich an diejenigen, die im Glauben müde geworden sind.

Die mit ihrem Glauben an einen Punkt gekommen sind, wo es nicht so recht weitergeht.

Bei denen sich ein wenig der Gedanke eingeschlichen hat, was das Ganze eigentlich soll.

Es geht also im ganzen Kapitel nicht um Heiden oder Moslems. Wenn wir im weiteren lesen werden, dass der Knecht Gottes geschlagen wird, so wird er nicht von den Taliban geschlagen, sondern von müden Gläubigen.

Langfristigkeit

Wir reden hier von einem Prozess, der über Jahre geht oder gegangen ist.

Nicht etwas Akutes ist geschehen, weswegen der Gläubige an Gott zweifelt.

Sondern es hat sich einiges angesammelt.

Einiges an Enttäuschung: Dass Gott auch über Jahre die Dinge nicht so gemacht hat, wie man sich das vorgestellt hatte.

Oder dass das, was man über Gott denkt (also das eigene Gottesbild), immer weniger mit der Realität übereinstimmt:

·         Gott macht die Dinge in der Gemeinde nicht besser

·         Gott hilft den Hungernden im Gazastreifen oder sonstwo nicht. Obwohl Gott angeblich „die Liebe“ ist.

·         Bibellesen bringt mir gar nichts. Früher habe ich es wegen dieser Leute gemacht, die gesagt haben, das sei ungeheuer wichtig und die Bibel sei das bedeutendste Buch der Welt. Aber heute gebe ich offen zu: Es langweilt mich.

·         Eigentlich brauche ich Gott nicht. Wüsste nicht, wozu. Gott bringt meinem Leben keinen Zugewinn an Qualität.

·         Und diese ganzen großen Sprüche und Ansprüche in der Bibel, alle diese bombastischen Worte, die haben mit meinem Leben nichts zu tun. Früher hat man noch gehofft, das Große, Aufregende, Bombastische würde eines Tages im eigenen Leben stattfinden. Aber die Jahrzehnte sind ins Land gegangen, und es ist nur die Durchschnittlichkeit geblieben.

Müde, nicht dumm

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Müden nicht dumm sind, sondern müde.

Es geht hier nicht um Heiden, denen grundlegende Informationen über Gott fehlen.

Sondern es geht um Leute, welche das Wort Gottes einigermaßen kennen und denen die nötigen Informationen über Gott vorliegen.

Folglich nützt es auch nichts, dem Müden irgendwelche Bibelverse an den Kopf zu werfen, um ihm mitzuteilen, dass seine Müdigkeit unsachgemäß ist oder sogar Sünde.

Weil der Müde eben müde ist und nicht dumm, darum kennt er diese Bibelverse alle selbst. Es ist also sinnlos, ihm die üblichen abgenutzten Sprüche von Bibelspruchkarten und frommen Kalendern um die Ohren zu schlagen:

·         Gott liebt Dich.

·         Der Herr ist groß und mächtig!

·         Der Herr dein Hirte führet dich fürwahr nichts mangelt dir

Und so weiter und so weiter, die wahren Fachleute können hunderte von diesen Sprüchen hintereinander weg aufsagen.

Aber der Müde ist nicht vergesslich, sondern müde. Der kennt die Sprüche alle.

Auch nicht dumm.

Und weil der Müde eben nicht dumm ist, sondern nur müde, darum hat er sich auch schon selbst Gedanken gemacht.

Er hat ja gemerkt, dass irgendwas an seinem Glauben klemmt.

Und er hat natürlich darüber nachgedacht, was er an diesem Zustand ändern kann.

Man kann nicht ewig in suboptimalen Zuständen leben.

Sicher, eine Weile kann man sich selbst in die Tasche lügen.

Aber dauerhaft kann man ja doch nicht damit leben, wenn das eigene Leben so wenig mit den Idealen der Bibel übereinstimmt.

Und weil der Müde nur müde ist, aber nicht dumm, darum hat er auch das eine oder andere versucht, um diesem schiefen Zustand abzuhelfen.

·         Vielleicht hat er mit der Stillen Zeit aufgehört. Oder damit angefangen.

·         Er hat ein schlaues Buch gelesen, damit es ihm die ganzen Widersprüche mit Gott und der Bibel erklärt.

·         Er hat ein Andachtsbuch gekauft. Oder ein anderes Andachtsbuch als bisher.

·         Er hat auf Bibel-TV oder im Internet irgendetwas dazu angeschaut, wo die Widersprüche erklärt werden oder wo andere Menschen erzählen, wie sie mit dieser Situation umgegangen sind.

Aber irgendwie hat das alles nichts genützt. Die Bibel mit ihren teilweise sehr seltsamen Forderungen und Ansichten hat nach wie vor mit dem Leben der Gläubigen nicht viel zu tun.

Nicht, dass man sich ganz und gar von Gott verabschiedet hätte und gar nicht mehr glaubt, dass es ihn gibt.

Aber so furchtbar viel anfangen kann man mit ihm eigentlich auch nicht.

Auftritt Knecht

An dieser Stelle tritt nun der Knecht Gottes auf.

Dieser Knecht kann durch alle möglichen Personen oder Personengruppen dargestellt werden.

Hier, bei Jesaja, ist es natürlich zuerst einmal Jesaja selbst.

Und dann haben wir gelernt, dass Jesaja hier eine Vorhersage auf Jesus macht. Damit ist dann auch Jesus der Knecht Gottes.

Ursprünglich war Israel als Volk und damit die Gemeinde der Knecht Gottes.

Und so ist es auch in der Realität: Mal ist dieser Knecht eine Einzelperson, mal eine Gruppe, und natürlich Jesus selbst.

Körperteile des Knechtes

Jetzt redet also der Knecht: Jesaja 50,4–11

4Der Herr, HERR, hat mir die Zunge eines Jüngers gegeben, damit ich erkenne, den Müden durch ein Wort aufzurichten. Er weckt mich, ja Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger hören.

Der Jünger ist hier nicht ein hilfloser Untergebener, wie die Christen ihn meistens verstehen.

Der Jünger ist einer, der Gott zuhört und der Gott auch in der Vergangenheit zugehört hat.

Und damit ist er, je länger um so mehr, klüger als alle anderen.

Wenn ein Jünger 20 Jahre lang Gott zugehört hat, dann ist er immer noch ein Jünger. In diesem Metier gibt es nämlich keine Meister.

Aber wenn er wirklich Gott zugehört hat, dann ist er den meisten Menschen auf der Welt überlegen.

Nicht in Biologie oder Mathematik.

Aber in den Dingen, die Gott angehen.

In der Kenntnis des Willens Gottes.

Gott hat dem Knecht also nicht die Zunge eines Ahnungslosen gegeben, sondern die Zunge eines Fachmanns.

Eines Ausgebildeten.

Der soll nämlich den Müden durch ein Wort aufrichten.

Und damit muss er in gewisser Hinsicht mehr wissen als der Müde.

Hörendes Körperteil

Und darum hat der Knecht auch ein Ohr wie ein Jünger.

Das Wort, das den Müden aufrichten soll, muss nämlich etwas sein, auf das der Müde selbst bisher nicht gekommen ist.

Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte: Der Müde ist weder vergesslich noch doof. Der hat schon über seinen Zustand nachgedacht.

Der hat seine Situation schon reflektiert.

Alle Ideen, auf die er von alleine kommen kann, hat er schon durchdacht oder sogar ausprobiert.

Aus dem Kopf des Müden wird das erneuernde Wort also nicht kommen. Der Müde hat schon alles, was in seinem Rahmen liegt, durchdacht.

Das fremde Wort

Das Wort, das den Müden aufrichtet, kann aber auch keines der mehr oder weniger belanglosen Worte sein, welche die Gläubigen oft so drauf haben. Das kann es schon allein deshalb nicht sein, weil der Müde diese Worte ja selbst alle auch kennt, und sie haben ihm bisher alle nicht geholfen:

·         Ach, das wird schon.

·         Sieh doch mal das Positive!

·         Aber Gott liebt Dich doch!

·         Bei Gott ist doch alles möglich!

·         Gott wird doch Dein Bemühen belohnen!

Sondern das Wort, das den Müden aufrichtet, muss ihm eine neue Perspektive vermitteln.

Das Wort muss dem Müden eine offene Tür zeigen, die er bisher nicht gesehen hat. Und er hat die Tür nicht deshalb nicht erkannt, weil er doof ist – falls ich das noch nicht gesagt haben sollte – sondern weil diese Tür sich bisher außerhalb seines Entscheidungsrahmens befand. Die neue Tür liegt in einem Bereich, da hat er noch nie hingeschaut.

Die Irrwege

Das Wort, das der Jünger jetzt von Gott hört, um es dann dem Müden zu sagen, muss also außerhalb des Vorstellungsbereiches des Müden sein.

Es muss aber auch außerhalb des üblichen christlichen Blablas sein. Es muss außerhalb eingefahrener frommer Wege sein.

Das Wort kann weder von dem Müden kommen, noch kann es von dem Jünger kommen. Denn der Jünger kann nicht in die Seele des Müden schauen, um zu wissen, was dem Müden helfen würde.

Und darum bekommt jetzt der Jünger das Ohr, das hören kann, was Gott sagt.

Und er kann jeden Tag neu hören. Denn da das Leben sich ständig ändert, wird Gott nicht alle Jahre hindurch das Gleiche sagen.

Das unwillkommene Wort

Und jetzt sagt also Gott dem Jünger das Wort, mit dem dieser die Müden aufrichten soll:

5Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet, und ich, ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen.

Schon erstaunlich, dass er davon ausgeht, dass es hier genügend Gründe gegeben hätte, widerspenstig zu sein und zurückzuweichen.

Gott spricht: Da muss man sich doch freuen!

Aber Jona ist geflohen, als Gott zu ihm sprach.

Jeremia hat den Tag seiner Geburt verflucht, nachdem Gott zu ihm geredet hatte.

Saul hat sich zwischen den Pferden versteckt.

Mose konnte vorsichtshalber nicht reden.

Als Gott dem Petrus das Netz mit den Krebsen und Kröten herabließ, war der absolut dagegen.

Als Hananias in Damaskus zu Paulus gehen sollte, hat er widersprochen.

Wenn der Jünger hier also weder widerspenstig ist noch zurückweicht, ist das eine applauswürdige Leistung.

Das will man nicht hören

Das Problem ist: Das Wort, das der Jünger hört und nun dem Müden sagen kann, ist nichts, was der Müde hören will.

Alle Möglichkeiten, die dem Müden angenehm wären, hat der Müde längst alle selber durchdacht. Falls ich das nicht erwähnt haben sollte: Der ist müde, nicht doof.

Das heißt, das Wort, das jetzt von Gott kommt für den Müden, wird ihm nicht gefallen.

Das Wort, das jetzt von Gott kommt, sagt in der Regel etwas, was der Müde eigentlich vermeiden wollte.

Letztlich sagt das Wort: Der Müde muss sich ändern.

Und damit sagt es: Die Ursache für die Müdigkeit liegt im Müden. Der Müde ist schuld an der Müdigkeit.

Aber der Müde ist selbstverständlich der Meinung, dass alle anderen sich ändern müssen.

Schuld daran, dass der Müde mit dem Glauben gewisse Probleme hat und nicht vorankommt, sind

·         die Gemeinde

·         oder irgend eine bestimmte Person in der Gemeinde

·         die Gesellschaft

·         die politische Lage

·         meine finanzielle Lage

·         alle die Leute, die mir die Zeit rauben

·         oder Gott. Im Notfall ist Gott schuld.

Aber niemals liegt die Schuld beim Müden selbst!

Auf keinen Fall darf es sein, dass der Müde selbst die Ursache für seine Müdigkeit ist.

Explosive Reaktion

Wenn der Jünger jetzt von Gott ein Wort für den Müden bekommt, dann ist dieses Wort stark.

Es ist nämlich von Gott.

Und dann trifft dieses Wort genau den wunden Punkt.

Das Wort sagt dann genau das, was der Müde ganz bestimmt nicht hören will.

Und folglich kommt es zur Explosion: Der Müde wehrt sich.

Und zwar mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung  stehen.

Also nicht nur mit den höflichen, christlichen und anständigen Mitteln.

6Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.

Da geht der Shitstorm richtig los: Gegen den Prediger, gegen die Gemeinde – wer auch immer das göttliche Wort gesagt hat, der kriegt jetzt die volle Breitseite ab.

Man hat es an den Pharisäern und Schriftgelehrten gesehen.

Man hat es an dem gesehen, was die Oberschicht mit Jeremia gemacht hat.

Der Job des Knechtes Gottes mag gegenüber der Welt schon herausfordernd sein, aber gegenüber den Gläubigen verdient der Knecht Gefahrenzulage.

Vor allem deshalb, weil er ja die Wahrheit sagt.

Und weil er weiß, dass er die Wahrheit sagt.

Darum kann er auch nicht zurückweichen und gegenüber dem zutiefst beleidigten Müden sagen: „Es war nicht so gemeint.“ Es war ja so gemeint. Und wo kämen wir hin, wenn der Knecht Gottes jetzt auch noch die Wahrheit manipuliert?

Der Knecht Gottes, egal in welcher Person, ist doch nicht dafür da, Gefälligkeitsbotschaften abzusondern!

Wer im Recht ist

Jetzt beschäftigt der Jünger mit der Frage des Rechts.

Denn wenn er tatsächlich etwas von Gott gehört hat, dann ist er auch im Recht.

Natürlich werden die Müden sagen, der Jünger habe gar nichts gehört. Der sei verbohrt und neidisch und bösartig und rechthaberisch und unbarmherzig.

Aber auf die Meinung der Müden gibt Gott jetzt wenig.

Wenn der Jünger tatsächlich das sagt, was er von Gott gehört hat, dann ist er eindeutig im Recht. Und dann wird Gott dem Jünger helfen und nicht dem Müden.

7Aber der Herr, HERR, hilft mir. Darum bin ich nicht zuschanden geworden, darum habe ich mein Gesicht hart wie Kieselstein gemacht. Ich habe erkannt, dass ich nicht beschämt werde.

8Nahe ist, der mir Recht schafft: Wer will mit mir einen Rechtsstreit führen? Lasst uns zusammen hintreten! Wer ist mein Rechtsgegner? Er trete her zu mir!

9Siehe, der Herr, HERR, hilft mir. Wer ist es, der mich schuldig erklären will? Siehe, allesamt werden sie zerfallen wie ein Kleid, die Motte wird sie fressen.

Direkte Ansprache der Müden

Zum Abschluss wendet der Knecht an die Müden selbst.

Er beschreibt sie als in Finsternis sitzend und kein Licht sehend.

10Wer ist unter euch, der den HERRN fürchtet, der auf die Stimme seines Knechtes hört? Wer in Finsternis lebt und wem kein Lichtglanz scheint, vertraue auf den Namen des HERRN und stütze sich auf seinen Gott!

Der Text sagt hier das, was wir ohnehin schon wussten: Dass es ziemlich sinnlos ist, einen Aufstand zu machen, wenn Gott etwas sagt.

Wenn Gott dem Müden tatsächlich etwas sagt – durch den Jünger – dann ist das ja der Beweis, dass Gott auf der Seite des Müden ist.

Der Müde muss also keinen Krieg führen gegen Gott.

Und natürlich auch nicht gegen den Knecht Gottes, sei es die Gemeinde oder sei es eine Einzelperson. Sollte der Müde das aber trotzdem tun – also mit Brandpfeilen auf den Boten Gottes schießen – dann geht der Text noch weiter:

11Siehe, ihr alle, die ihr ein Feuer anzündet, mit Brandpfeilen euch rüstet: Lauft hinein in die Glut eures Feuers und in die Brandpfeile, die ihr angesteckt habt! Von meiner Hand geschieht euch das. In Qualen sollt ihr daliegen.

Zusammenfassung

Gott will nicht, dass der Müde müde bleibt.

Aber wenn der Müde Gottes Hinweise nicht will und den Knecht Gottes angreift, dann kriegt er genau das, was er eigentlich der Gemeinde oder der Einzelperson zugedacht hatte.

Wenn Gott extra jemanden schickt, der den Müden aufrichten soll, und der Müde geht dann gegen diesen Boten Gottes vor, dann kriegt der Müde es mit Gott zu tun.

Der Müde kriegt es übrigens auch mit Gott zu tun, wenn die Müdigkeit zum Einschlafen führt.

Denn schließlich hatte Gott ja extra einen hörenden Jünger geschickt, um das zu verhindern.