Klagelieder, Kapitel 2

Das zweite Lied der Klagelieder beklagt einen Vorgang, der weltweit unvorstellbar ist und war: Dass sich nämlich ein Gott gegen sein eigenes Volk wendet und es besiegt und vernichtet. So etwas wäre von den babylonischen oder ägyptischen Göttern völlig undenkbar gewesen. Die hätten sich zwar vielleicht gelegentlich in Schweigen gehüllt und einfach gar nichts gemacht, aber dass sie gegen ihre eigenen Leute vorgehen, das war nicht vorstellbar.

So erfährt man aus diesem Lied, dass Gott tatsächlich eine Beziehung zu seinen Leuten will und pflegt, und diese Beziehung kann, wie jede andere auch, in Feindschaft umschlagen. Wobei nicht Gott derjenige ist, der mit der Feindschaft anfängt, sondern Gott reagiert auf das Verhalten seines Gegenübers. Und man bekommt dann nicht irgendwelche theologischen Probleme, sondern man bekommt es mit Gott zu tun. Und mit dem persönlich handelnden Gott hatte man eigentlich nicht gerechnet.

Man erfährt hier auch, dass der Wille Gottes keineswegs immer das ist, was man sich vorstellt, dass er es sei. Es kann eben durchaus sein, dass Gott die Richtung wechselt, und wenn man das nicht mitbekommt und glaubt, es ginge alles noch den gleichen Weg wie früher, dann bekommt man große Probleme.

Wobei diese zweite Möglichkeit des göttlichen Willens, nämlich der Fluch bei Ungehorsam, durchaus schon bei Mose angekündigt war und viele Male von zeitgenössischen Propheten wiederholt worden war. Aber weil man eben nicht an einen persönlichen Gott denkt, der seine Meinung ändern kann, sondern nur in theologischen Glaubenssätzen denkt, die man sich für alle Zeit festbetoniert vorstellt, darum wird man völlig davon überrascht, dass Gott all das, was er jahrhundertelang für wichtig und erstrebenswert verkündet hat, jetzt für überflüssig erklärt und es zerstört.

Alternative Version über Klagelieder, Kapitel 2

In Kapitel 2 der Klagelieder wird ausführlich beschrieben, wie gründlich und methodisch Gott Jerusalem und seine Umgebung zerstört hat.

Um es kurz zu machen: Jerusalem war in einem ähnlichen Zustand wie deutsche Großstädte nach dem zweiten Weltkrieg. Es war komplett zerstört und vollständig niedergebrannt, und es konnte niemand mehr dort wohnen – der Stadthalter von Juda, den Nebukadnezar später einsetzte, musste in Mizpa seinen Amtssitz nehmen, weil man in Jerusalem nicht mehr wohnen konnte.

Und die Klagelieder beschreiben den Zusammenbruch Jerusalems als den größten Crash in der damals bekannten Geschichte – ein Zusammenbruch so groß wie das Meer, das die Menschen damals für unendlich hielten und für das größte, was es auf der Erde gibt. Aus einer schönsten und berühmtesten Städte der damaligen Zeit war der größte Trümmerhaufen weit und breit geworden.

Und die Klagelieder beklagen den unglaublich großen Zorn Gottes, der selbst vor seiner eigenen Wohnung, dem Tempel, nicht halt machte, und der keine Rücksicht auf Frauen und Kinder nahm und der mit einer so unglaublichen Gewalt über Land und Leute kam – niemand hatte jemals damit gerechnet, dass Gott so zornig werden würde.

Aber wenn Gottes Zorn so groß ist: Wie groß ist dann eigentlich seine Liebe?