Amos 1 und 2: Das Staatengedicht

Das haben wir ja schon in der Schule so sehr geliebt: eine Gedichtinterpretation.

Und die ersten beiden Kapitel des Propheten Amos sind ein einziges Gedicht.

Ein sehr ordentliches Gedicht.

Mit einer sehr festen und zuverlässigen Struktur.

Und weil Amos ein Prophet ist und im Namen Gottes spricht, muss man sich natürlich fragen: Spricht Gott in Poesie?

Kann Gott nicht einfach geradeaus reden?

Vermutlich kann Gott auch geradeaus reden, aber in diesem Fall steht und fällt die ganze Aussage, die Gott machen will, mit dieser Gedichtform.

Die Gedichtform ist hier ein wichtiges Instrument, damit man überhaupt verstehen kann, was Gott sagen will.

Beschreibung des Gedichtes

Das Gedicht besteht aus 8 Strophen.

Diese Strophen sind identisch in ihrem Aufbau.

Und sie unterscheiden sich auch nicht so sehr in ihrem Inhalt.

Jede Strophe beginnt mit den Worten „So spricht der Herr: Wegen drei Verbrechen von X oder vier werde ich es nicht rückgängig machen“.

Und bei „X“ kommt immer ein Staat, und zwar ein Staat im Nahen Osten zur Zeit von Amos, also um das Jahr 760 vor Christus.

Dann wird als Beispiel für die Verbrechen dieser Staaten ein einziges Verbrechen genannt.

Und dann folgt die Ankündigung, dass Gott Feuer gegen die Hauptstadt des Landes schicken wird, damit dieses Feuer die Paläste dort frisst. Und in einigen Fällen wird das Gericht Gottes über diese Staaten dann noch ausführlicher beschrieben.

Wobei die Zielgruppe von Gottes Gericht vor allem die Verantwortlichen dieser Staaten sind.

Die Könige, Fürsten, Richter, Generäle.

Zielgruppe der Strafandrohung sind nicht in erster Linie die kleinen Leute.

Das klingt jetzt erstmal nicht so bombastisch und lesenswert, aber ich habe mir schon etwas dabei gedacht, als ich einen Artikel über dieses Staatengedicht geschrieben habe.

Strophe 1

Gilead war ursprünglich Teil von Israel, und der König Hasael war von Elisa auf Gottes Anweisung hin zum König über Syrien bestellt worden (2.Könige 8,9-15). Also Hasael war syrischer König von unseres Gottes Gnaden.

Am 1,3-5

 3 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Damaskus und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie Gilead mit eisernen Dreschschlitten gedroschen haben.

Ein Dreschschlitten ist so etwas wie ein sehr breites Snowboard, dessen Unterseite mit sehr vielen sehr scharfen Teilen versehen war. Der Dreschlitten war sehr schwer, damit fuhr man über das geerntete Getreide, wie man mit dem Snowboard über Schnee fährt, um die Getreidekörner von dem Rest der Pflanze zu trennen.

In der Steinzeit waren die scharfen Teile an der Unterseite aus Feuerstein, in der Eisenzeit dann aus Eisen.

Es geht hier jetzt nicht darum, dass die Syrer mit dem Dreschschlitten über Menschen gefahren sind, obwohl man das durchaus mit Gefangenen gemacht hat, sondern eher darum, dass man das Land, das man erobert, so gründlich zerstört, wie ein eiserner Dreschschlitten gründlich arbeitet.

Also die Syrer haben in Gilead verbrannte Erde hinterlassen, sie haben die Olivenbäume und die Obstbäume abgeholzt, haben die Weinberge zerstört und die Dörfer verbrannt und damit die Bewohner im Grunde genommen dem Hungertod ausgeliefert oder sie gezwungen, in die Sklaverei zu gehen.

Wir kennen ein ähnliches Vorgehen von den kriegsführenden Parteien im Russlandfeldzug des zweiten Weltkrieges.

Also die Wirkung ist einem Atombombenabwurf nicht unähnlich, und die Sache ist schon recht nahe an Kriegsverbrechen dran.

Und Gott meinte nun, dass man sowas nicht macht.

Sowas ist überflüssig.

Noch dazu, wenn der Prophet und der Gott des eroberten Landes einen zum König gemacht haben.

4 So sende ich Feuer in das Haus Hasaëls, dass es die Paläste Ben-Hadads frisst. 

5 Ich zerbreche den Riegel von Damaskus und rotte den Herrscher aus Bikat-Awen  aus und den, der das Zepter hält, aus Bet-Eden: Und das Volk von Aram wird nach Kir gefangen wegziehen, spricht der HERR.

Strophe 2

Die zweite Strophe richtet sich gegen die Philister.

Am 1,6-8

6 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Gaza und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie ganze Ortschaften gefangen weggeführt haben, um sie an Edom auszuliefern.

Die Philister haben also die komplette Einwohnerschaft einiger israelitischer Orte gefangen genommen und sie dann Israels Erzfeind ausgeliefert, den Edomitern, die von Esau abstammen und die mit dem Propheten Obadja einen eigenen Propheten ganz für sich alleine in der Bibel bekommen haben.

Auch das gehört zu den Kriegsverbrechen, dass man ganze Dörfer gefangen nimmt und sie dann an den schlimmsten Feind des entsprechenden Landes ausliefert.

Wobei die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg auch gemacht haben, dass sie die Russlanddeutschen, die von der Wolga her vor den Russen geflohen waren und es bis nach Bayern geschafft hatten, wieder den Russen übergeben haben, und die haben sie dann nach Sibirien verbannt.

Aber Gott meint: So geht es nicht.

7 So sende ich Feuer gegen die Mauer von Gaza, dass es seine Paläste frisst. 

8 Ich rotte den Herrscher aus Aschdod aus und den, der das Zepter hält, aus Aschkelon. Ich wende meine Hand gegen Ekron, und der Rest der Philister geht zugrunde, spricht der Herr, HERR.

Strophe 3

Am 1,9-10

9 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Tyrus und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie ganze Ortschaften an Edom ausgeliefert und an den Bruderbund nicht gedacht haben. 

10 So sende ich Feuer gegen die Mauer von Tyrus, dass es seine Paläste frisst.

Seit dem König Hiram von Tyrus bestand ein Vertrag zwischen Israel und Tyrus, und die Frau des Königs Ahab, Isebel, stammte ebenfalls aus Phönizien, und auch durch diese politische Heirat bestand ein Friedensvertrag zwischen Israel und Tyrus.

Nun hatten die Israeliten und Tyrus gar keinen Krieg miteinander, sondern die Phönizier haben die von den Philistern gefangen genommenen Dorfbevölkerungen mit ordentlichem Gewinn an die Edomiter weiterverkauft. Die Philister hatten gar nicht die Infrastruktur, um hunderte von Sklaven auf einmal über so weite Strecken zu transportieren, aber die Phönizier hatten diese Strukturen.

Und was den Israeliten bei den Edomitern blüht, das konnte man sich ausrechnen.

Und das waren ja noch nicht einmal Soldaten. Das war Zivilbevölkerung.

Und Gott meint, so etwas zählt unter Kriegsgräuel, und so etwas lässt er auch heidnischen Völkern nicht durchgehen.

Strophe 4

Am 1,11-12

11 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Edom und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil es seinem Bruder mit dem Schwert nachjagt und sein Erbarmen erstickt hat und weil sein Zorn beständig zerfleischt und sein Grimm dauernd wacht. 

12 So sende ich Feuer gegen Teman, dass es die Paläste von Bozra frisst.

Die Edomiter stammen von Abraham und Isaak ab genau so wie Israel.

Und darum wird den Edomitern auch kein einzelnes spezielles Verbrechen vorgeworfen, sondern ihr andauernder tödlicher Hass. Solange Israel neben Edom wohnte – und das ließ sich ja nicht verhindern – solange Israel neben Edom wohnte, gab es keine Ruhe, keinen Frieden, sondern ständig Grausamkeiten und Gewaltausbrüche und Überfälle, und wie schon erwähnt, hat man auch dankbar die entführten Dorfbewohner entgegen genommen, die andere Staaten entführt hatten.

Man war da nicht kleinlich.

Und Gott meinte: Jahrhundertelanger Hass, noch dazu auf Leute, mit denen man verwandt ist und denen gegenüber man eigentlich zur Solidarität verpflichtet wäre, das geht nicht.

Strophe 5

Am 1,13-15

13 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen der Söhne Ammon und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie die Schwangeren von Gilead aufgeschlitzt haben, um ihr Gebiet zu erweitern. 

14 So zünde ich Feuer an in der Mauer von Rabba, dass es seine Paläste frisst unter <Kriegs>geschrei am Tag der Schlacht, unter Sturm am Tag des Unwetters. 

15 Da geht ihr König in die Gefangenschaft, er und seine Obersten zusammen mit ihm, spricht der HERR.

Da braucht man nicht viele Worte zu verlieren.

Die Schwangeren aufzuschlitzen, das sind Kriegsverbrechen.

Selbst unter heidnischen Verhältnissen ist klar, dass man so etwas nicht macht.

Strophe 6

Am 2,1-3

1 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Moab und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil es die Gebeine des Königs von Edom zu Kalk verbrannt hat.

Israel und Juda hatten gemeinsam einen Feldzug gegen Moab geführt, und der König von Edom war damals mit ihnen verbündet, und Israel und Juda sind durch das Land des Königs von Edom gegen Moab gezogen, und der König von Edom hat ebenfalls Soldaten gestellt.

(Die Geschichte ist aufgeschrieben in 2.Könige 3,9).

Das haben die Moabiter dem König von Edom so übel genommen, dass sie, als sie stark genug waren, ihn aus seinem Grab geholt und seine Überreste zu Staub verarbeitet haben. Also die Moabiter haben sich noch an dem Toten gerächt.

Man kann davon ausgehen, dass sie mit den lebenden Edomitern nicht freundlicher umgegangen sind.

2 So sende ich Feuer nach Moab, dass es die Paläste von Kerijot frisst. Und Moab stirbt im Kampflärm, unter <Kriegs>geschrei, beim Schall des Horns. 

3 Und ich rotte den Richter aus seiner Mitte aus, und alle seine Obersten bringe ich mit ihm um, spricht der HERR.

Strophe 7

Am 2,4-5

4 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Juda und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie das Gesetz des HERRN verworfen und seine Ordnungen nicht gehalten haben, und ihre Lügen<götter> sie verführten, denen ihre Väter nachgelaufen sind. 

 5 So sende ich Feuer gegen Juda, dass es die Paläste Jerusalems frisst.

Man hätte sich ja wundern können, warum Gott so lange und so ähnliche Drohreden gegen alle möglichen Staaten im Nahen Osten veröffentlicht.

Wo diese Staaten diese Drohreden doch vermutlich nie lesen werden, und ob die Herrscher dieser Staaten jemals Kenntnis davon erhalten, dass da ein Prophet so etwas über sie gesagt hat, ist fraglich.

Aber langsam erkennt man, warum es so eine lange Vorrede von 6 Strophen gab.

Weil es jetzt eine siebte Strophe gibt, die in ihrer Einleitung und in ihrer Strafandrohung genau gleich ist zu den 6 vorherigen.

Aber in der 7.Strophe wird die identische Strafe nicht angedroht wegen Kriegsverbrechen, wegen extremer Grausamkeit oder widerlicher Gräueltaten, sondern „weil sie das Gesetz des Herrn verworfen und seine Ordnungen nicht gehalten haben“.

Und dieses Verhalten von Juda wird auf eine Stufe gestellt mit den brutalsten Kriegsverbrechen der Heiden.

Und weil die Zielgruppe des Propheten Amos in Israel saß, kommt jetzt noch eine achte Strophe. Die ist viermal so lang wie die anderen, und damit wird klar: das ist jetzt die Strophe, auf die es eigentlich ankommt.

Strophe 8

Am 2,6-8

6 So spricht der HERR: Wegen drei Verbrechen von Israel und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie den Gerechten für Geld und den Armen wegen eines Paares Schuhe verkaufen. 

Die haben also die Richter bestochen, dass sie Unschuldige verurteilen – da brauche ich wohl nicht zu bemerken, dass sowas in Gottes Augen niemals durchgeht, und im Gesetz des Mose ist es explizit verboten – und wenn der Arme geringe Schulden hatte, also nur ein paar Schuhe nicht bezahlen konnte, dann haben sie ihn als Sklaven verkauft, was im Gesetz des Mose ebenfalls ausdrücklich verboten war.

7 Sie treten nach dem Kopf der Geringen <wie> auf den Staub der Erde, und den <Rechts>weg der Elenden beugen sie. Und ein Mann und sein Vater gehen zu <demselben> Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen.

Diese Taten sind im Gesetz allesamt verboten, aber das Schlimme ist noch nicht einmal der Gesetzesbruch, sondern die Entweihung von Gottes heiligem Namen. Indem sie den Geringen in den Dreck ziehen, ziehen sie Gott in den Dreck.

8 Und auf gepfändeten Kleidern strecken sie sich aus neben jedem Altar, und Wein von Strafgeldern trinken sie im Haus ihres Gottes. 

Eigentlich darf man  Kleider sowieso nicht pfänden, und wenn, dann muss man sie am Abend wieder zurück geben. Und wenn das Landratsamt von all dem Geld, das sie durch Parkknöllchen eingenommen haben, eine opulente Party für die Mitarbeiter des Landratsamtes schmeißen würde, dann wäre auch in Deutschland was los.

Jetzt wirft Gott noch einen ganz kurzen Blick darauf, was er alles für Israel getan hat.

Am 2,9-11

9 Und ich, ich hatte doch den Amoriter vor ihnen vernichtet, dessen Höhe wie die Höhe der Zedern war und der stark war wie die Eichen, und ich hatte seine Frucht droben vertilgt und seine Wurzeln drunten.

Gott hat also die ehemaligen Bewohner des gelobten Landes beseitigt – das sind die, von denen die Kundschafter mit Entsetzen berichtet hatten, dass das Riesen sind.

10 Und ich, ich hatte euch doch aus dem Land Ägypten heraufgeführt und euch vierzig Jahre in der Wüste geleitet, das Land des Amoriters in Besitz zu nehmen.

Ihr habt das Land nur wegen Gott.

11 Und ich habe von euren Söhnen <einige> als Propheten auftreten lassen und <einige> von euren jungen Männern als Nasiräer. Ja, war es nicht so, ihr Söhne Israel?, spricht der HERR.  

Und weil die inneren Zustände in Israel so beklagenswert waren, hatte Gott extra Propheten geschickt, die auf Gottes Willen hingewiesen haben, und er hat besonders fromme und gottesfürchtige Leute geschickt, die Nasiräer, die besonders heilig leben wollten und deshalb z.B. keinen Alkohol tranken.

Weil Gott die Gottesfurcht in Israel wieder einführen wollte.

Weil Gott im Grunde eine religiöse Revolution wollte.

Am 2,12

12 Aber ihr habt den Nasiräern Wein zu trinken gegeben und den Propheten befohlen: Ihr sollt nicht weissagen!

Die haben also den Nasiräern, die ein Gelübde abgelegt hatten, dass sie keinen Wein trinken, eine Apfelschorle angeboten, und als die Nasiräer den ersten Schluck genommen hatten, stellte sich raus, dass es Wein gewesen war. Und damit hatten die ihr Gelübde gegenüber Gott gebrochen.

Und den Propheten, die das Wort Gottes verkündeten, haben die Israeliten den Mund verboten.

Gott will etwas sagen, er schickt dazu eine ganze Reihe von Propheten, und die Regierung von Israel sagt Gott, er soll den Mund halten.

Anwendung

Acht Strophen hat das Gedicht.

Achtmal der gleiche Anfang, achtmal die gleiche Strafandrohung der Vernichtung.

Acht Verbrechen werden benannt, die alle gleich schwer bewertet werden.

Bei den Heiden sind es übelste Kriegsverbrechen, und bei den Gläubigen steht die Missachtung des Wortes Gottes auf der gleichen Ebene.

In Gottes Augen ist da kein Unterschied.

Was die Serben in Srebrenica an den Moslems gemacht haben, das war sehr schlimm, und man beklagt es zurecht.

Wenn ihr mein Wort missachtet, sagt Gott, macht ihr genau das gleiche.

Was die gottlosen Nationalsozialisten in Auschwitz gemacht haben, das beklagt man zurecht.

Wenn die Gläubigen Gottes Wort für nicht so wichtig erklären, sagt Gott, machen sie genau das Gleiche.

Die Maßstäbe, die an die Gläubigen angelegt werden, sind völlig andere als die Maßstäbe für die Heiden.

In den Evangelien wird die Hölle nur den Gläubigen angedroht, und der Wurm, der niemals stirbt, knabbert nur an Gläubigen. Die Evangelien kennen keine Hölle für Heiden, für Ungläubige oder für römische Beamte.

Und darum erzählt uns Amos so ein langes Gedicht:

Damit die Gläubigen verstehen, dass das Ignorieren des Wortes Gottes, wenn Gläubige es tun, auf der gleichen Stufe steht wie die schlimmsten Kriegsverbrechen der Heiden.