Psalm 12 - Wort gegen Wort

Zeitgeschichtlicher Hinweis: Dieser Artikel wurde im Mai 2022 geschrieben, als Wladimir Putin und die russische Armee die Ukraine angriffen und deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine diskuttiert wurden. Wenn Sie diesen Artikel lange nach diesen Ereignissen lesen, aktuallisieren Sie einfach die Beispiele. Die Aussagen des Psalms sind ewig, aber die Beispiele sind vorübergehend.

Hoffentlich haben Sie den ersten Vers gelesen.

Von diesem Psalm.

Ansonsten kann es nämlich nur daneben gehen.

Der erste Vers weist darauf hin, dass dieser Psalm für den Gottesdienst gedacht ist. Das ist ein Stück Literatur, das im Gottesdienst vorgelesen werden soll. Oder sogar gesungen, wer weiß?

Wir haben hier nicht die Litanei eines älteren Mannes vor uns, der jammert, dass früher alles besser war.

Dieser Text beschreibt – im Gottesdienst! - die Zustände im heiligen Land.

Nicht die Zustände in Babylon oder Shanghai.

Wenn es um die Zustände in Babylon oder Shanghai ginge, bräuchte man kein solches Lied zu schreiben. Dass in solchen Gegenden der Anteil an Lug und Trug groß ist, ist normal und war schon immer normal. Mit der Vernichtung von Sodom und Gomorrha und mit der Sintflut hat Gott seine Meinung kundgetan, aber nicht das Problem von der Erde verbannt.

Dieser Psalm beschreibt die Zustände in einem Land, in dem man die Bundeslade mit in den Krieg zu nehmen pflegte. Wo Gott also eine dominierende Rolle spielen sollte.

Und dieser Psalm ist nicht der einzige Text in der Bibel, der solche Zustände innerhalb der Gemeinde beklagt.

Psalm 12,2

2Rette, HERR! – denn der Getreue ist dahin, denn die Treuen sind verschwunden unter den Menschenkindern.

„Unter den Menschenkinder“ meint nicht die Menschenkinder in Babylon oder Shanghai. Derjenige, der hier schrieb, und diejenigen, die das im Gottesdienst hörten, waren nicht weitgereist und hatten keine Dokumentation auf Arte gesehen über Island und die Mongolei. Die einzigen Menschen, die die kannten, waren die Menschen im gelobten Land.

Dass die Treuen aus Babylon verschwunden waren, wäre in einem Psalm keiner Bemerkung wert gewesen. Aber die Treuen sind aus der Gemeinde verschwunden.

Wenn die Treuen in der Gemeinde noch die Mehrheit hätten, müsste Gott nicht zur Rettung aufgefordert werden. Vor denen, die Gott treu sind, muss uns niemand retten.

Aber die Leute, die in Babylon und Alexandria vielleicht normal wären und die man in Damaskus und Beirut erwarten würde, die waren jetzt in der Gemeinde.

Psalm 12,3

3Sie reden Lüge, ein jeder mit seinem Nächsten; mit glatter Lippe, mit doppeltem Herzen reden sie.

Es geht hier nicht darum, dass die Leute auf dem Markt Gurken als „frisch“ anpreisen, obwohl die innerlich schon vertrocknet sind. Es geht nicht darum, dass man 700g Gemüse als ein Kilo verkauft.

Sondern es geht darum, dass diese Leute sagen „Gott ist groß“, aber sofort hinzufügen: „Herr Putin ist aber auch groß“.

Und sie sagen das mit glatter Lippe: Man kommt gegen ihre Argumentation nicht an. Sie können so fließend argumentieren, da kann der Gläubige nichts gegen sagen.

Sie reden mit doppeltem Herzen: Sie geben sich als gläubig aus, sie haben Bibel im Mund, aber sie fürchten sich vor Herrn Putin.

Sie sagen „Gott ist gütig“, aber ihr Lebensgefühl wird von Herrn Putin geprägt. Sie tun fromm, aber sie fühlen sich so, als wäre Herr Putin der Herr ihres Lebensgefühls.

Sie sagen „an Gottes Segen ist alles gelegen“, aber ihre seelische Lebensqualität hängt vom Verhalten von Herrn Putin ab und nicht vom Verhalten Gottes. Wenn Putin Ruhe gibt und abzieht, ist alles gut. Wenn Putin weiterhin in 1000 km Entfernung (Luftlinie Heidelberg – Kiew sind 1566 km) einen unklaren Krieg führt, fühlt man sich entsprechend schlecht.

Psalm 12,4–5 (ELB)

4Der HERR möge ausrotten alle glatten Lippen, die Zunge, die große Dinge redet,

5die da sagen: »Dank unserer Zunge sind wir überlegen, unsere Lippen sind mit uns; wer ist unser Herr?«

Der Herr soll die glatten Lippen und die große Zunge nicht in Babylon und Alexandria ausrotten, nicht in Beirut oder Damaskus. Dort ist völlig normal, dass man sich vor Herrn Putin oder vor Nebukadnezar fürchtet. Dort ist es selbstverständlich, dass man Gottes Wort für unpraktikabel hält.

Aber doch nicht in der Gemeinde!

Die Argumente der glatten Lippen

Natürlich haben die glatten Lippen die Argumente auf ihrer Seite.

Es ist völlig richtig, dass wir uns aufgrund von Herrn Putins Verhalten schlecht fühlen, denn der Zeitgeist verlangt es so! Das ist gesellschaftlicher Grundkonsens.

So steht es im Spiegel, so steht es in der New York Times, so melden es Tagesschau und heute Journal!

Und so sitzen die Gläubigen dann im Gottesdienst, und so reden und beten sie.

Alles andere wäre auch politisch völlig unkorrekt!

Wenn wir das Wort Gottes wahr machen würden und uns nicht sorgen würden, weil Gott es so gesagt hat, das wäre doch der Realität gar nicht angemessen! Das wäre weltfremd und sachfremd!

Oder wenn wir des Paulus Anweisung befolgen würden Philipper 4,8–9 (ELB)

8Übrigens, Brüder, alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, das erwägt!

Wenn wir unsere Gedanken mit dem Guten und Schönen und Erfreulichen beschäftigen würden, während die Menschen in der Ukraine – ja, das wäre doch eine schallende Ohrfeige ins Antlitz all der leidenden Menschen! Das ist ein eklatanter Mangel an Empathie!

„Freut euch im Herren allezeit“, hat Paulus gesagt, aber das käme ja wohl einer Verachtung der Opfer dieses Krieges gleich, wenn wir uns in solchen Zeiten von der Freude leiten lassen! So etwas ist doch unmoralisch!

Wenn tatsächlich alle Dinge zu unserem Vorteil wären, wie Römer 8 sagt – einfach deshalb, weil der Teufel besiegt ist und folglich nichts mehr zu unserem Nachteil sein kann – wenn dieser Krieg zu unserem Vorteil wäre, dann wären wir ja Kriegsgewinnler! Da seien die FAZ und die Süddeutsche vor!

Im Grunde ist es doch wahre Gottesfurcht und tiefe Frömmigkeit, wenn wir uns schlecht fühlen aufgrund der Geschehnisse in der Ukraine! Diese Form der innerlichen Solidarität mit den betroffenen Menschen ist christlich! Das ist das Mindestmaß an Nächstenliebe, das wir aufbringen müssen. Dass wir uns aus großer Entfernung so fürchten wie die Ukrainer. Sozusagen mit den Ukrainern in Angst und Schrecken solidarisch verbunden.

Und dann gibt es ja auch noch die Inflation, die uns bedroht!

„Wer ist unser Herr?“, fragte der Vers 5. Natürlich der, der unsere Gedanken und unsere Gefühle und unsere Haltungen grundlegend bestimmt. Und wenn wir morgens nach dem Aufstehen an Herrn Putin denken und abends vor dem Schlafengehen auch und zwischendurch auch immer wieder, und wenn wir uns so richtig schlecht fühlen, weil alles so furchtbar ist – dann ist Herr Putin unser Herr und nicht Gott.

Psalm 12,6

6Wegen der gewalttätigen Behandlung der Elenden, wegen des Seufzens der Armen will ich nun aufstehen, spricht der HERR; ich will in Sicherheit stellen den, den man bedroht.

Wenn hier die gewalttätige Behandlung der Elenden beklagt wird, dann geht nicht darum, dass die Elenden verprügelt werden, von Haus und Hof gejagt oder beraubt und bestohlen werden.

Das sieht man dann an dem Gegenmittel.

Also Gott steht auf: Und was macht er dann?

Und darum besteht die gewalttätige Behandlung der Elenden darin, dass man sie bedroht und beschimpft und für unmoralisch und fehlgeleitet erklärt, wenn sie tatsächlich Gottes Wort und Willen in die Tat umsetzen wollen.

Wenn die sich keine Sorgen machen wegen dem Krieg in der Ukraine, weil sie durch Sorgen ihr Leben auch nicht verlängern.

Wenn die sich auch nicht in ängstlichen Spekulationen ergehen, wie das wohl weitergeht und ob da noch ein dritter Weltkrieg draus wird – gegen die Angst hat die Bibel soviel „fürchte dich nicht“ und soviel andere Aussagen gesetzt, dass man nicht davon ausgehen kann, dass man Gott wohlgefällig handelt, wenn man Angst hat vor irgendwelchen eventuell vielleicht möglicherweise eintretenden Ereignissen.

Die gewalttätige Behandlung der Elenden besteht darin, dass die Klugen und Gebildeten in der Gemeinde, die den Durchblick haben und eine entsprechende Lebenskompetenz, dass die diejenigen in eine Ecke stellen, die nicht bereit sind, Herrn Putin mehr Macht über ihr Leben einzuräumen als Gott.

Die nicht bereit sind, den Zustand ihres Glücks von Herrn Putin bestimmen zu lassen.

Die sich weigern, die europäische Zentralbank über ihr Glück oder Unglück entscheiden zu lassen.

Die strikt dagegen sind, ihre Hoffnung vom Füllpegel der Gasspeicher abhängig zu machen.

Die nicht daran glauben, dass irgendwas besser wird, wenn sie sich schlecht fühlen, und die niemals davon ausgehen, dass Verzweiflung und Niedergeschlagenheit jemals dem Willen Gottes entsprechen werden.

Jetzt kommt, was Gott macht

Gott reagiert jetzt darauf, dass in der Gemeinde so geredet wird, wie in Babylon oder Alexandria geredet wird. Was wird Gott machen mit denen, die in der Gemeinde eine Haltung zeigen, die in Damaskus oder Beirut angemessen wäre, aber in der Gemeinde Gottes völlig daneben ist?

Wir Gott sie durch einen Blitz erschlagen oder eine Gruppe Löwen auf sie hetzen?

Psalm 12,7

7Die Worte des HERRN sind reine Worte – Silber, am Eingang zur Erde geläutert, siebenmal gereinigt.

Das ist jetzt nicht, was man als Reaktion erwartet.

Es wird das Wort Gottes beschrieben als völlig gegensätzlich zu dem Wort derer, die so reden, wie man Babylon oder Alexandria redet, die sich aber eben nicht in Babylon oder Alexandria befinden, sondern in der Gemeinde.

Das Wort Gottes wird beschrieben als so rein, so eindeutig, so klar – wie Silber, das sieben Mal in Lava gereinigt wurde.

Tja, das ist Gottes Reaktion.

Jetzt kommt noch, womit der Autor des Psalms infolgedessen rechnet: Psalm 12,8

8Du, HERR, wirst sie einhalten, wirst ihn behüten vor dieser Generation ewig.

Die Gefahr ist ja nicht, dass der Treue ermordet wird oder seiner wertvollen Teppiche beraubt wird.

Die Gefahr ist, dass die den Treuen dazu bekommen, genauso zu denken und zu reden wie sie.

Gott muss die Treuen nicht vor Mord und Totschlag behüten, sondern vor den Worten der angeblich so gläubigen.

Und das macht Gott, indem er einfach sein Wort gegen das Wort der Angepassten stellt.

Gott stellt sich hinter das, was die Treuen ohnehin glauben.

Gott verweist die Treuen auf sein Wort.

Das allemal besser ist und wahrer und zutreffender als das Wort, das man aus Babylon oder Alexandria übernommen hat.

Des Psalms Schlusswort

Das Schlusswort des Psalms ist auch nicht das, was man erwarten würde.

Denn die Anhänger des babylonischen Denkens werden nicht ausgerottet, und Gott kippt nicht einen Eimer Strafe über diejenigen, die in der Gemeinde so reden, wie Gott nicht geredet haben will.

Psalm 12,9

9Ringsum wandeln Gottlose, während Gemeinheit emporkommt bei den Menschenkindern.

Und damit ist der Psalm zuende.

Es hat sich im Vergleich zum Anfang des Psalms nichts verändert.

Diejenigen, die tatsächlich den Sieg Christi verkünden, auch über Herrn Putin und über die Inflation, die haben immer noch einen schweren Stand.

Aber Gott hat den Treuen sein Wort aufleuchten lassen.

Das ist, was sich verändert hat.

Gott hat sich mit Nachdruck hinter sein Wort gestellt.

Hat es unterstrichen und mit Leuchtmarker angestrichen.

Gott hat sich positioniert gegenüber denen, die in der Gemeinde babylonisch oder ägyptisch reden.

Gott hat sein Wort gegen das ägyptische Wort gestellt.

Und jetzt kann man wählen.