Psalm 70 – Lassen Sie es sein!

Eine der zentralen Quellen für saftigen Ärger in der Gemeinde ist das Verhältnis zwischen den radikalen Gläubigen und den nur-so-Gläubigen.

Die Nur-so-Gläubigen werden nämlich allein durch die Existenz der radikalen Gläubigen ständig in Frage gestellt.

Sie fühlen sich fortwährend kritisiert, selbst wenn das gar nicht Absicht und Anliegen der Radikalen ist.

(Wobei man der Ehrlichkeit halber sagen muss: Wenn die Radikalen tatsächlich den Willen Gottes umsetzen wollen und wirklich das Beste wollen für Gott und sein Reich, dann liegt die Kritik an den Nur-so-Gläubigen natürlich nahe und ist sehr verständlich. Denn so ein teilweises Verhältnis einiger zu Gott behindert die Gemeinde extrem und entehrt Gott erheblich.)

Das Kritisiertfühlen ist durchaus verständlich, denn wenn man ständig jemanden vor Augen hat, der die Sache, die man auch machen will oder soll, deutlich besser macht, dann ist das logischerweise immer eine Kritik an der eigenen Leistung.

Aus diesem Neid und der Missgunst heraus ist schon Jesus umgebracht worden. Er war eine lebende Kritik für die Pharisäer, und dass Gott offensichtlich mehr auf Jesu Seite war als auf ihrer, das war verständlicherweise unerträglich für sie.

Es ist also nichts Außergewöhnliches, wenn die Nur-so-Gläubigen in der Gemeinde auf die Radikalen losgehen. Ehe die Nur-so-Gläubigen sich ändern, werden sie alle anderen Methoden ausprobieren.

Neues Verhalten der Radikalen

Nun könnten die Radikalen in der Gemeinde aufgrund der ungerechten Angriffe auf die Idee kommen, sich an den anderen zu rächen:

  • Indem sie nicht mehr für die anderen beten.
  • Indem sie schlechtere Bibelstunden oder Predigten halten – sich einfach nicht mehr soviel Mühe gehen für diese Leute.
  • Indem sie von Vorstandsämtern und ähnlichen Positionen zurücktreten oder sich nicht wieder dafür bewerben, damit die anderen mit ihrem bisschen Glauben den Laden alleine schaukeln können.

Oder was einem sonst noch so einfällt, um Rache zu nehmen für die Ungerechtigkeit.

Und da sagt der Autor des Psalms: Das geht nicht.

Die Rache ist Gottes.

Man kann Gott bitten, dass er das wieder herstellt, was nach meiner Meinung in diesem Fall „Gerechtigkeit“ wäre.

Aber selber machen darf man das nicht.

Zu groß ist die Gefahr, dass ich selber auch einen blinden Fleck habe. Dass ich die Fehler der anderen gut sehe, meine eigenen aber nicht.

Und dass darum durch mein Handeln auch keine „Gerechtigkeit“ entsteht.

Alternative für die Radikalen

Vernünftiger ist es wahrscheinlich, die Alternative zu wählen, die der Autor in Vers 5 benennt.

Also die anderen in Ruhe lassen.

Mir selbst wird es am Ende nicht besser gehen, wenn Gott die anderen bestraft.

Die Alternative wäre demnach, dass ich mich über Gott und sein Heil freue und mich weniger auf das konzentriere, was die anderen machen, sondern mehr auf das, was Gott ist und was Gott macht.

Es ist wichtig, dass Gott immer noch wichtiger ist als die Gegner.

(Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt.)

Zur Textkritik

Es ist mir bekannt, dass dieser Psalm 70 nur eine Kopie des Endes von Psalm 40 ist.

Warum diejenigen, die das Psalmbuch zusammengestellt haben, den Psalm dringelassen haben, können wir nicht mehr sicher bestimmen.

  • Entweder lagen ihnen mehrere Psalmbücher vor, aus denen sie bei der Zusammenstellung nichts streichen wollten. Vielleicht sogar aus Respekt vor Gottes Wort.
  • Oder sie fanden, dass in Psalm 40 die eigenen Sünden (Vers 13) als Ursache für die Verfolgung der Radikalen zu sehr betont sind.

Oder irgend ein anderer Grund.

Dieser Psalm 70 hat aber trotzdem seinen eigenen Wert, auch wenn er ohne einen Zusammenhang wie im Psalm 40 steht.