Psalm 144 – Kein Kriegswaffenkontrollgesetz

Falls Sie sich die Frage gestellt haben, warum der Psalm 144 noch nie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat, dann haben Sie ihn wahrscheinlich noch nie gelesen.

Bereits die ersten beiden Verse sind Militarismus pur.

Und was vielleicht noch schlimmer ist: Eigentlich macht David hier Gott zum Militaristen.

Ps 144,1-2

1 Von David. Gepriesen sei der HERR, mein Fels, der meine Hände unterweist zum Kampf, meine Finger zum Krieg:

2 Meine Gnade, meine Burg und meine Zuflucht, mein Retter, mein Schild und der, bei dem ich mich berge, der mir Völker unterwirft!

Die Frage, die David hier beantwortet, ist: Wie ist Gott?

Oder, weil das hier ja nicht objektiv und sachlich gemeint ist, sondern subjektiv: Wie erlebe ich Gott?

Und er sagt hier: Gott, der Schläger. Der Militarist. Der Kriegsteilnehmer. Der Rüstungskonzern.

Man hätte ja auch sagen können:

  • Gott ist mein Brot des Lebens
  • mein Hirte
  • mein Tröster
  • lebendiges Wasser oder Brunnen
  • der Baum, der mir Schatten gibt
  • der Erfinder von Schönheit
  • Garant meines Erfolges
  • der Adler, der mich zum Überflieger macht

Aber David sagt nichts dergleichen, sondern er beschreibt Gott als einen Kriegsminister und als einen Fachmann für aktive und passive Kampftechnik.

Da der Psalm mit diesen Sätzen anfängt, ist damit das Thema des ganzen Psalms gegeben.

Die Frage nach dem Militarismus

Und nun stellt David die Frage, warum Gott ein derart kriegerisches Engagement für den Menschen zeigt.

Denn auf den ersten Blick gibt es dafür keinen Grund.

3 HERR, was ist der Mensch, dass du Kenntnis von ihm nimmst, der Sohn des Menschen, dass du ihn beachtest?

4 Der Mensch gleicht dem Hauch. Seine Tage sind wie ein vorübergehender Schatten.

Die Frage „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst“ hatte David schon einmal gestellt, das war vor 132 Psalmen. Und die Antwort damals war eine ganz andere. Damals sagte David, Gott habe den Menschen wenig niedriger gemacht als Engel, ihn mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt.

Hier, in Psalm 144, ist die Antwort ganz anders.

Der Mensch ist im Grunde wertlos.

Der Mensch ist so schnell vergänglich, dass sich ein Engagement für ihn nicht lohnt.

Der Mensch ist laut David ein Hauch und ein Schatten. Das ist die geringste Haltbarkeit und die minimalste Substanz, die man sich vorstellen kann. Weniger kann man nicht sein. Noch weniger, und man wäre gar nichts.

Das Thema

Und das ist das Thema dieses Psalms: Warum setzt Gott so viele offensive und defensive Waffen ein für jemanden, der im Grunde nichts ist?

Wenn Gott den jetzt und heute schützt – in ein paar Jahren ist der Mensch ohnehin tot.

Die heutigen Christen verstehen diese Frage dann oft nicht, weil die im Hinterkopf immer die Auferstehung haben. Aber von so etwas wussten die Psalmschreiber noch nichts. Für die war mit dem Tod tatsächlich alles vorbei.

Und darum war das für die Menschen damals eine bedeutende Frage: Warum setzt sich Gott mit derart kompromissloser Gewalt für Menschen ein, die im Ablauf der Jahrtausende mit ihren paar Lebensjahren nicht zählen und die rein massemäßig im Verhältnis zur Größe der Welt nicht zählen. Wobei die, die damals diese Frage stellten, noch eine viel kleinere Welt hatten als wir. Die wussten nichts von Planeten und Galaxien.

Von daher müsste die Frage heute eigentlich noch brennender sein, denn damit, dass das bekannte Universum größer geworden ist, ist der Mensch im Verhältnis noch viel kleiner geworden als er früher schon war.

Und wenn man die Christen heute fragen würde, dann käme die Antwort selbstverständlich in rosa, umspült von sphärischer Musik: Weil Gott den Menschen liebt.

Diese Antwort kannte David zwar auch, aber Davids Antwort hier ist völlig anders.

Der Mensch als jemand, der beständig bekämpft ist

Natürlich kannte David, als er den Psalm schrieb, die Antwort schon.

Und darum ist der erste Teil seiner Antwort, dass Gott unbedingt die stärksten Waffen auffahren muss, die er hat.

Atombomben, Cruise Missiles, Kriegsdrohnen – also das muss richtig krachen.

Aber das Ziel ist nicht etwa, dass die Feinde getötet werden!

Nein, die Feinde werden überleben!

Die werden nicht ausgerottet, und dann ist Ruhe.

5 HERR, neige deinen Himmel und steige herab! Rühre die Berge an, dass sie rauchen!

Also Gott soll selber kommen. Alles darunter bringt nichts.

Und die rauchenden Berge sind eigentlich Gottes stärkste Machtdemonstration. Von Meteoriten wussten die damals nichts, und Erdbeben kannten sie, aber so ein rauchender Berg wie damals am Sinai, das war nicht mehr zu überbieten.

6 Blitze mit Blitzen und zerstreue sie! Schieße deine Pfeile ab und verwirre sie!

Die Feinde sollen zerstreut und verwirrt werden, aber nicht getötet.

Und der Verzicht auf die Tötung ist nicht einer humanen Anwandlung von David geschuldet.

Sondern das liegt daran, dass David verstanden hatte, wer der Feind ist und warum er angreift.

Und damit war die Vernichtung dieses Feindes vorerst ausgeschlossen.

Das heißt dann aber auch, dass der Mensch dauerhaft mit diesen Feinden konfrontiert ist.

Die werden zwar mal verjagt, aber die kommen wieder.

Wenn wir also fragen: Warum kämpft Gott so für den Menschen?, dann ist die erste Antwort: Weil der Mensch ständig, fortlaufend und immerfort bedroht ist.

Und zwar anders bedroht als die Rehe und die Nilpferde.

Und diese Bedrohung ist systemimmanent. Die kann man nicht abstellen. Die gehört dazu.

Wenn David fragt: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? dann ist die erste Antwort: Der Mensch ist jemand, der fortwährend bedroht ist.

Und der Mensch ist viel bedrohter als Zebra und Eichhörnchen, denn der Mensch wird auch an Geist und Seele bedroht und in allem, was zu diesem Bereich dazu gehört.

Der Mensch als jemand, der in bedrängter Lage eine Adresse hat

Aber der Mensch ist auch jemand, der in dieser ständigen Bedrohung eine Adresse hat, an die er sich wenden kann.

7 Strecke deine Hand aus von der Höhe! Reiße mich heraus und rette mich aus großen Wassern, aus der Hand der Söhne der Fremde,

8 deren Mund Falsches redet, deren Rechte eine Rechte der Lüge ist!

Soeben wurde der Feind zum ersten Mal benannt: Die Söhne der Fremde.

Das sind nicht die Söhne des Reiches. Das sind keine Einheimischen.

Das sind keine, die zu Gottes Reich gehören.

Die gehören zu einem anderen Reich. Die sind definitiv von der anderen Seite.

Und ihre Tätigkeit wird beschrieben: ihr Mund redet Falsches, also sie lügen.

Und die Hand, mit der sie schwören, ist ebenfalls eine Lügenhand, also sie schwören Dinge, die nicht wahr sind.

Und da wir das Neue Testament schon gelesen haben, wissen wir, dass wir es bei soviel Lüge offenbar mit dem Teufel zu tun haben.

Und darum muss Gott auch so kraftvoll eingreifen, darum wird die Gefahr als so unglaublich groß beschrieben.

Weil es eben keine normale Gefahr ist, sondern die größte, die es für den Menschen geben kann.

Der Mensch als jemand, der mitten im Krieg singt

Aber immer noch ist die Frage, warum setzt Gott sich so für den Menschen ein?

Und irgendwie müsste man die Frage noch viel krasser stellen, denn Gott setzt sich nicht nur so für den Menschen ein, dass der Mensch hinterher gerade so gerettet ist.

Dass man erschöpft aufatmet und sagt: Puh, das war knapp, aber wir haben überlebt.

Sondern Gott setzt sich dermaßen für den Menschen ein, dass der mitten im Krieg zu singen anfängt:

9 Gott, ein neues Lied will ich dir singen, auf der Harfe von zehn Saiten will ich dir spielen!

10 Dir, der Rettung gibt den Königen, der seinen Knecht David entreißt dem verderblichen Schwert.

11 Reiße mich heraus und rette mich aus der Hand der Söhne der Fremde, deren Mund Falschheit redet und deren Rechte eine Rechte der Lüge ist.

Und ja: Der Krieg geht nie zuende.

Die Feinde werden in diesem Leben und in dieser Welt nicht vernichtet.

Die werden immer mal wieder vertrieben und verjagt, aber die sind niemals wirklich weg.

Aber der Mensch kann jetzt Gott ein Lied singen, mitten im Krieg!

Nun gut, wir kennen das aus dem Neuen Testament: Eure Freude soll vollkommen sein. Und „dankt Gott allezeit für alles“.

Aber warum schafft Gott solche Situationen?

Der Mensch als jemand, der über alle Maßen gesegnet ist

Jetzt kommt das Ende des Psalms, und die Kommentatoren, also die gebildeten Theologen sind sich einig, dass dieses Ende hier nicht hingehört.

Das passt überhaupt nicht zum Rest des Psalms.

Das steht in keinem Zusammenhang mit dem ständigen Krieg, der andauernden Not, der fortwährenden Bedrängnis.

Denn jetzt wird plötzlich das Paradies beschrieben.

Und zwar das Paradies mitten in unserem Leben.

12 Dass unsere Söhne seien gleich Pflanzen, die großgezogen wurden in ihrer Jugend, unsere Töchter gleich Ecksäulen, geschnitzt nach der Bauart eines Palastes.

13 Unsere Speicher seien gefüllt, sie mögen <Nahrung> spenden von jeglicher Art! Unser Kleinvieh mehre sich tausendfach, zehntausendfach auf unseren Fluren!

14 Unsere Rinder seien trächtig, ohne Riss und Fehlgeburt! Kein Klagegeschrei sei auf unseren Plätzen!

15 Glücklich das Volk, dem es so ergeht! Glücklich das Volk, dessen Gott der HERR ist!

Das ist ja nun wirklich unvorstellbar viel Paradies.

Und das soll das Ergebnis davon sein, wenn wir als Menschen ständig bedroht sind und Gott mit allen seinen Machtmitteln an unsere Seite eilt.

Wer ist eigentlich ursprünglich schuld daran, dass wir nicht mehr in diesem Paradies sind?

Wer ist schuld daran, dass wir rausgeflogen sind?

Richtig. Das ist wohl der Teufel, vertreten durch eine Schlange.

Aber warum hat der Teufel das eigentlich gemacht?

Warum wollte der Teufel die Menschen unbedingt dazu bringen, Gott ungehorsam zu sein?

Was hatte der Teufel davon, dass Gott und die Menschen voneinander getrennt werden?

Der unmögliche Kampf gegen Gott

Der Teufel wollte ja eigentlich Gott bekämpfen.

Der Teufel ist ja nicht per se Feind des Menschen. Er ist Feind Gottes.

Aber Gott kann man nicht bekämpfen.

Gott ist so erhaben, so grenzenlos stark, so uneingeschränkt mächtig, dass man gegen Gott überhaupt nicht kämpfen kann.

Also kämpfte der Teufel gegen die nächstniedrige Instanz, an die er drankam.

Gegen die, die nach dem Bilde Gottes gemacht waren.

Die also eine gewisse Göttlichkeit in sich hatten.

Das wurde so eine Art Stellvertreterkrieg.

Und wir Menschen sind in diesen Krieg zwischen Licht und Finsternis hineingeraten, weil wir diejenigen Wesen sind, die Gott am nächsten und gleichzeitig angreifbar sind.

Also eigentlich meint der Teufel gar nicht uns.

Eigentlich meint der Gott.

Gottes Reaktion

Nun könnte Gott sich natürlich zurücklehnen und sagen: „Tja, ihr Menschen, dumm gelaufen, was? Jetzt seid ihr das Opfer, weil ich das Opfer nicht sein kann und weil ihr das höchststehende wart, was der Teufel angreifen konnte. So ein Pech aber auch!“

Macht Gott aber nicht.

Dafür ist der zu gut.

Weil Gott weiß, dass der schwache, kurzlebige, zerbrechliche Mensch nur wegen Gott angegriffen wird, darum – und nun sind wir wieder bei Vers 1 – aktiviert Gott die gesamte himmlische Kriegsmaschinerie, um den ständig gefährdeten Menschen mit himmlischen Mitteln zur Unverletzlichkeit zu verhelfen.

Das ist die Antwort auf die Frage, die David stellt: Warum machst Du das, Gott?

Weil der Mensch hier das abkriegt, was eigentlich Gott abkriegen sollte.

Und das lässt Gott nicht auf sich sitzen.

Nein, noch viel mehr:

Weil der Mensch ja nur deshalb aus dem Paradies rausgeflogen ist, weil er an Gottes Statt angegriffen wurde – darum setzt Gott den Menschen jetzt wieder ins Paradies rein.

Das ist, was uns das Neue Testament ständig erzählt:

  • Dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Vorteil gereichen müssen. Dass es also folglich keinen Nachteil mehr gibt.
  • Was immer ihr im Glauben bitten werdet, wird Gott euch geben. (Also die Abwesenheit von jeglichem Mangel.)
  • es sei Welt oder Leben oder Tod, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges; alles steht zu eurer Verfügung – alles muss uns dienen, egal was es ist
  • Eph 1,18-19 damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung,
    • was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen
    • und was die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist,
    • nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke.

Man definiere sich

Nun wurde dieser Psalm aber nicht geschrieben, um uns über die Sachlage zu informieren.

Und dann gehen wir nach Hause und sind unglaublich informiert.

Sondern der Psalm wurde geschrieben, damit wir uns in unserem Leben definieren können.

Damit wir die Frage „was ist der Mensch“ für uns ganz persönlich beschreiben können.

Jetzt wäre also die Aufgabe, zu definieren, wer ich bin.

Eine Wahl habe ich nicht: Ich kann nicht definieren, ob ich im Krieg bin oder nicht.

Dass der Mensch vom Bösen angegriffen wird, bedroht wird, das kann man nicht abwählen.

Aber ob man sich in dieser Lage als ein verletzlicher, unterlegener Mensch definiert, dessen Tage wie ein vorübergehender Schatten sind und der selber wie ein Hauch ist,

oder ob man sich definiert als einer, der den Kampf aufnimmt, weil Gott den Kampf für ihn aufnimmt, und der in all dem Ärger nicht nur gesegnet ist, sondern weit mehr als normal gesegnet, das kann man wählen.

Und noch mehr:

David geht davon aus, dass der Mensch das eigentlich von Gott verlangen kann, dass Gott ihm mit der gesamten himmlischen Kriegsmaschinerie beisteht.

Weil der Mensch hier eigentlich Gottes Kampf kämpft.

Weil der Mensch hier für Gott die Nase hinhält.

Darum sagt David hier auch nicht „bitte bitte“.

Er weiß, dass Gott die, die für ihn die Nase hinhalten, ohnehin nicht hängen lassen wird.

David weiß sogar, dass das eigentlich anstandshalber gar nicht geht, dass Gott denen, die stellvertretend für Gott die Prügel einstecken, ihren Schaden nicht hundertfach ersetzen wird.

Und wenn jemand das weiß, dass er sich so hundertprozentig auf Gott verlassen kann – das nennt man einen großen Glauben.