Sprüche 13,24 – Holen Sie den Stock!

Sprichwörter 13,24

24Wer seine Rute schont, hasst seinen Sohn; aber wer ihn lieb hat, züchtigt ihn beizeiten.

Das ist das Problem für die Bibeltreuen: Da stehen solche Sachen drin. Und der Hebräerbrief benutzt diese Verse dann auch noch für irgendeine Art der Argumentation! (Heb 12,6)

Besonders schön ist es ja zu sehen, wie diejenigen, die für die wörtliche Inspiration der Bibel stehen und die den bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes verfechten, die Schwierigkeiten an dieser Stelle umgehen. Da kann man eine gewissen Verlogenheit nicht übersehen:

Denn die Bibel (sowohl AT als auch NT) kennt ja nicht nur die körperliche Strafe für Kinder. Sie kennt die Prügelstrafe genauso auch für Erwachsene.

Paulus berichtet, dass er mehrmals von den Juden die Prügelstrafe bekommen hat, die nach dem Alten Testament auch zwingend und logisch war (2.Kor 11,24). Und die Apostelgeschichte berichtet uns, dass auch die Römer an Paulus die Prügelstrafe vollziehen wollten (Apg 22,24), und zwar als eine Form der Folter, um eine Aussage zu bekommen.

Jesus setzt die Prügelstrafe für Erwachsene als selbstverständlich voraus, indem er sagt Lukas 12,47–48

47Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn wusste und sich nicht bereitet noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden;

48wer ihn aber nicht wusste, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigen geschlagen werden. Jedem aber, dem viel gegeben ist – viel wird von ihm verlangt werden; und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern.

Und Jesus hatte auch keine Vision dahingehend, dass das mit den Stockschlägen für Erwachsene mal aufhören würde: Matthäus 10,17

17Hütet euch aber vor den Menschen! Denn sie werden euch an Gerichte überliefern und in ihren Synagogen euch geißeln;

Wenn also die Bibeltreuen im Herzen immer noch denken, dass die Prügelstrafe für Kinder nicht so ganz falsch ist, aber gleichzeitig natürlich niemals auf die Idee kämen, die Prügelstrafe für Erwachsene gut zu heißen, dann ist das einfach eine Form der Verlogenheit.

Man kann nicht die Prügelstrafe für Erwachsene als nicht mehr zeitgemäß oder als unzivilisiert ablehnen, obwohl sie in der Bibel eindeutig beschrieben wird, sie für Kinder aber noch bejahen. Sind Kinder schlechtere Menschen als Erwachsene?

Der Wandel der Zeit

Die Liebhaber der Bibel müssen an dieser Stelle erkennen, dass die Zeit sich tatsächlich gewandelt hat und dass die biblischen Inhalte ebenfalls dem Wandel der Zeit unterliegen.

In einer Zeit, in der unangetastete Autorität ungeheuer wichtig war und in der die Einhaltung der (gottgegebenen) Hierarchie ein zentraler Bestandteil der Gesellschaft war, war das Verprügeln der Kinder verständlich. So kann das Oben und Unten eindeutig gezeigt werden. Und so werden eben auch elementare gesellschaftliche Werte verteidigt. Der Aufstand gegen die Hierarchie ist schmerzhaft.

Aber in einer Welt wie heute, wo wir demokratisch denken, wo also alle Menschen gleich viel wert sind, kann es nicht sein, dass ein Mensch den anderen verprügelt und sich dadurch über diesen Menschen stellt.

Oh Weisheit!

Möglicherweise ist Ihnen schon aufgefallen, dass alle Texte des Alten Testamentes, die etwas über das Schlagen von Kindern sagen, aus der Weisheitsliteratur stammen. Das Gesetz des Mose kennt kein Gebot, dass man Kinder schlagen soll. Es kennt allerdings sehr wohl ein Gebot, dass man abtrünnige Erwachsene schlagen soll (Deut 25,1-3).

Die Aussagen über das Schlagen der Kinder stammen nicht nur ausschließlich aus der Weisheitsliteratur, sondern sogar alle aus dem Buch der Sprüche. Und das Buch der Sprüche sagt in seiner Einleitung selber, dass es geschrieben wurde, damit der Mensch Weisheit erlange.

Zwar geht das Buch der Sprüche davon aus, dass alle Weisheit auf der Gottesfurcht beruht. Was an und für sich kein großer Wurf ist, denn ein gutes Leben kann nicht gelingen, wenn man gegen Gott arbeitet. Das Ausblenden der Realität ist kein Erfolgsrezept.

Aber ansonsten lernen wir in diesem Buch wenig über Gott. Er kommt ein paarmal vor, aber er kommt z.B. selber gar nicht zu Wort. Während es im Gesetz und in den Propheten immer mal wieder heißt „so spricht der Herr“, so sprechen im Buch der Sprüche Menschen, die gewisse Erfahrungen im Leben gemacht haben und diese Erfahrungen nun weitergeben wollen.

Es geht bei all diesen Tipps weniger um ein religiöses Leben, sondern um ein prinzipiell gutes Leben. Um das Vermeiden von Schwierigkeiten. Die Hinweise zu Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit oder Bescheidenheit haben nicht den Hintergrund, dass Gott ein solches Verhalten bevorzugt, sondern dass das Leben damit deutlich einfacher wird.

Da es sich bei dem Buch der Sprüche um eine Sammlung von Lebenserfahrungen handelt, lassen sich davon keine Gesetze oder Regeln im religiösen Sinn ableiten. Man kann nicht ein Gebot ableiten, dass wer eine zänkische Frau hat, auf einer Ecke seines Daches wohnen soll (Spr 21,9 + 25,24).

So war auch das Schlagen eines Sohnes (von Töchtern liest man nichts) im damaligen Gesellschaftssystem ein vernünftiger Rat, denn die Beziehung zwischen Eltern und Kindern war viel mehr vom Gehorsam geprägt als von der Liebe oder von einem verständnisvollen Miteinander. Unterdrückung war in jeder Beziehung gesellschaftlich anerkannt (auch gegen Sklaven, Ausländer, Straftäter). Die Gesellschaft war hierarchisch strukturiert, nicht demokratisch.

Heutzutage, wo Unterdrückung innerhalb der Gesellschaft völlig aus der Mode gekommen ist, ist der Rat, den Sohn zu verprügeln, eigentlich nur kontraproduktiv. Er führt nicht zu einem besseren Leben, sondern zu Hass. Denn während Schläge in einer hierarchisch organisierten Gesellschaft akzeptiert waren, werden sie in einer demokratisch organisierten Gesellschaft als ungerecht empfunden.

Die sinngemäße Übertragung

Übrigens ist dies auch einer der Fälle, wo Sie mit einer „sinngemäßen Anwendung“ nicht weiterkommen. Sie können nichts finden, was dieser Bibeltext „eigentlich sagen wollte“. Sie können von der Prügelstrafe nicht eine „stringente Erziehung“ ableiten oder ein „gradliniges Vorgehen“.

Das wäre nämlich so, wie wenn der Vater dem Sohn befiehlt, er solle zur Schule gehen. Und der Sohn meint dann, sinngemäß wolle sein Vater ja, dass der Sohn etwas fürs Leben lernt. Es ginge dem Vater gar nicht um das buchstabengetreue Herumsitzen in Klassenräumen, denn so gesetzlich würde sein Vater bestimmt nicht denken. Und am besten etwas fürs Leben lernt der Sohn, wenn er mit seinen Kumpels durch die Parks der Stadt zieht oder eine Spritztour in die Welt hinaus macht, anstatt im Klassenzimmer zu sitzen.

Nein, diese Bibelstellen mit dem Stock meinen einen materiellen Stock, keinen übertragenen. Es gibt hier nichts zu übertragen.

Gottes Wille

Nach wie vor ist es Gottes Wille, dass die Menschen ein gutes Leben führen. Dieses Leben müssen die Menschen aber innerhalb der Gesellschaft führen, in welche sie hineingeboren wurden. Und „Gesellschaft“ ist nicht immer böse. Keinesfalls ist alles, was in unserer Gesellschaft nicht der nackten biblischen Aussage entspricht, gleich „Hure Babylon“.

Folglich können Sie mit biblischen Aussagen, die ein völlig anderes Gesellschaftssystem voraussetzen, frei umgehen. Sie unterstehen auch nicht dem Gebot zum Märtyrertum. Sie müssen nicht den scheinbaren Willen Gottes gegen die Gesellschaft durchdrücken.

Legen Sie also den Stock weg. Wenn Sie Ihren Sohn nicht verprügeln, ist es keine Sünde.