Exodus 33,12-18 – die demütige Demut des Mose
Wir befinden uns in der Wüste Sinai.
Das Volk hatte schon die 10 Gebote empfangen, Mose war einige Male auf den Berg rauf und wieder runter gelaufen, und die Sache mit dem goldenen Kalb liegt gerade hinter uns.
Und spätestens jetzt erkennt Mose, dass der Auftrag, den er da von Gott bekommen hat, seine Möglichkeiten bei weitem übersteigt.
Gejammert hat Mose schon in Ägypten. Schon da wollte er den Auftrag nicht. Er fühlte sich einfach nicht stark und fähig genug dafür. Und jetzt steht er mitten in der Wüste mit diesen Leuten, die sowas von verquer im Kopf sind, und er weiß, dass er den Auftrag nicht mehr loswird.
Folglich muss er irgendwie weiter machen, aber er weiß nicht wie und was. Die Sache überfordert ihn total, und das goldene Kalb hat deutlich gezeigt, dass Mose an der Grenze seiner Möglichkeiten angekommen ist.
Außerdem hatte man ja immer noch gedacht, dass Aaron dem Mose als gleichwertiger Partner an die Seite gegeben war. Aber Aaron hatte sich bei der Sache mit dem goldenen Kalb deutlich disqualifiziert. Den konnte man an vorderster Front nicht brauchen. Er war kein gleichwertiger Partner für Mose. Was sich in der Fortsetzung der Geschichte ja immer wieder gezeigt hat.
I never walk alone
2.Mose 33,12
12 Mose nun sagte zum HERRN: Siehe, du sagst zu mir: Führe dieses Volk hinauf! - aber du hast mich nicht erkennen lassen, wen du mit mir senden willst, wo du <doch selbst> gesagt hast: Ich kenne dich mit Namen, ja, du hast Gunst gefunden in meinen Augen.
Erster Ansatz von Mose ist also: „Gott, du hast mir den Auftrag gegeben. In Klammern: Du, Gott, bist schuld, dass es jetzt so ist, wie es ist. Klammer zu. Alleine schaffe ich das nicht, das ist ja unübersehbar, und das habe ich Dir in Ägypten schon gesagt.“
Mose steht vor dem Problem, dass es zum einen ganz klar ein Auftrag von Gott ist, und damit ist es Gottes Sache, dafür zu sorgen, dass der Auftrag ausführbar ist.
Und wenn es nur das wäre, dann könnte Mose sich zurücklehnen und sagen: „Ich tue mein Bestes, und der Rest geht mich nichts an.“
Es ist aber auch so, dass dieser Auftrag für Mose selbst enorm viel bedeutet. Das Volk aus der Hand der Ägypter befreien, das wollte er schon als junger Mann. Das war ihm damals immerhin einen Mord wert.
Also eigentlich wollte Mose diesen Auftrag unbedingt ausführen, aber andererseits war die Sache jetzt, nach so kurzer Zeit, schon völlig verfahren und einfach eine Nummer zu groß für ihn.
Unter diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass Mose Gott daran erinnert, dass der ja schließlich gesagt habe, dass er Mose freundlich gesinnt sei und um ihn persönlich besorgt sei. Also möge Gott doch bitte etwas gegen das drohende Magengeschwür tun.
Und das ist das erste Mal in diesem Abschnitt, wo Mose zu Gott sagt: „Du hast gesagt, nun mach aber auch.“
Wissen, was man tut
Eben hat Mose gefordert, dass er einen zweiten Mann braucht. Jetzt fordert er zusätzlich, dass den ganzen Prozess verstehen will. Durchblick will er.
2.Mose 33,13
13 Und nun, wenn ich also Gunst gefunden habe in deinen Augen, <dann> laß mich doch deine Wege erkennen, so dass ich dich erkenne, damit ich Gunst finde in deinen Augen, und bedenke, dass diese Nation dein Volk ist!
Auf gut Deutsch lautet die Frage: „Gott, würdest Du mir bitte erklären, was Du vorhast? So wie die Lage im Moment aussieht, habe ich nämlich keinen Schimmer, wie da irgendwas Gescheites draus werden soll.“
„Und noch was, Gott: Erstens ist dieses Volk Dein Volk und nicht meins. Letztlich bist du in der Verantwortung und nicht ich. Und zweitens: Du hast Dir dieses Volk erwählt. Du hättest andere Leute erwählen können, aber scheinbar hast Du Dir was dabei gedacht, diese Leute zu berufen. Aber jetzt zeig mir bitte auch, wie man mit diesen Leuten, die Du unverständlicher Weise ausgewählt hast, das gelobte Land einnehmen soll.“
Die Liste der Forderungen des Mose an Gott nimmt irgendwie kein Ende. Erst will er jemanden haben, der ihn auf gleicher Ebene unterstützt, dann will er Gottes Pläne und Gedanken erkennen, und dann will er, dass Gott seine Verantwortung wahrnimmt, von der Mose meint, Gott hätte sie.
Die Reisegesellschaft
2.Mose 33,14
14 Gott antwortete: Mein Angesicht wird <mit>gehen und dich zur Ruhe bringen.
Mose ist gegenüber Gott ganz schön massiv aufgetreten, aber Gott stört das offensichtlich nicht, sondern er verspricht Mose, dass er keine Magengeschwüre zu befürchten hat.
Mose kriegt jedoch keinen menschlichen Mitarbeiter, der ihn unterstützt, sondern Gott selbst will mit Mose und dem Volk ziehen.
Der Wunsch des Mose wird also übererfüllt.
Allerdings ist Mose mit dieser Zusage so noch nicht zufrieden:
2.Mose 33,15-16
15 Mose aber sagte zu Gott: Wenn dein Angesicht nicht <mit>geht, dann führe uns nicht von hier hinauf!
16 Woran soll man denn sonst erkennen, dass ich Gunst gefunden habe in deinen Augen, ich und dein Volk? Nicht daran, dass du mit uns gehst und wir, ich und dein Volk, <dadurch> vor jedem Volk auf dem Erdboden ausgezeichnet werden?
Mose hat jetzt schon einiges erlebt mit Gott und seinem Volk, und mit einer einfachen Zusage Gottes läßt er sich nicht abspeisen. Er will sichergehen. Und er sagt zu Gott ganz klar: „Wenn Du nicht wirklich mitgehst, gehe ich keinen Schritt weiter! Wir sind darauf angewiesen, dass du mitgehst! Wenn Du nicht mitgehst, dann will ich den Auftrag nicht, dann vergiss es!“
Und Mose schiebt noch ein paar Gründe nach, warum Gott auch wirklich und auf jeden Fall ... es ist ein bisschen so wie bei Gideon mit diesem Stofffetzen, der mal nass und mal trocken sein sollte.
Elitäres Denken
Und Mose führt eine weitere Forderung auf: Er will nicht der Führer irgendeines Volkes sein, von denen es viele auf der Erde gibt. Er will Führer eines Volkes sein, dass in gewisser Hinsicht besser ist als alle Völker der Erde.
Das sich positiv unterscheidet von allen anderen Völkern.
Das nicht zu vergleichen ist mit den anderen Völkern – also Mose will mit dem Volk in gewisser Hinsicht Elite sein. Nicht 08/15. Er will den Job nicht machen, damit hinterher etwas dabei herauskommt, was andere Völker ohnehin haben. Mose ist ausgesprochen anspruchsvoll.
Gottes Antwort
Und jetzt reagiert Gott: 2.Mose 33,17-18
17 Der HERR antwortete Mose: Auch diesen Wunsch, den du <jetzt> ausgesprochen hast, werde ich erfüllen; denn du hast Gunst gefunden in meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen.
18 Mose aber sagte: Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen!
Also nochmal zusammengefasst:
· Mose möchte von Gott einen Mitarbeiter.
· Mose möchte Gottes Wege und dabei ihn selbst erkennen.
· Mose möchte deutlich sehen, dass er Gunst gefunden hat in Gottes Augen, also dass Gott ihm freundlich gesinnt ist. Er will einen Beleg, Indizien, einen Beweis.
· Mose möchte, dass Gott die Verantwortung für sein Volk und das ganze Projekt übernimmt.
· Daraufhin verspricht ihm Gott, dass er selbst der Mitarbeiter des Mose wird.
· Daraufhin sagt Mose: „Aber wirklich! Ich bestehe darauf! Ich verlange es!“
· Dann verlangt er, dass auch die anderen sehen, dass Mose Gunst in Gottes Augen gefunden hat.
· Und zwar am besten dadurch, dass das Volk, für das Mose steht, eine Art Elitestellung kriegt.
· Das alles sagt Gott dem Mose zu.
· Und nun will Mose noch die Herrlichkeit Gottes sehen.
Mosaische Charaktereigenschaften
4.Mose 12,3
3 Der Mann Mose aber war sehr demütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren.
Falls Sie in christlichen Kreisen verkehren, haben Sie vermutlich Rückenschmerzen.
Aufgrund Ihrer jahrelangen demütig gebeugten Haltung.
Denn seit Jahrhunderten wird in christlichen Kreisen davon ausgegangen, dass der Gläubige ein Wurm ist.
Der wahre Christ denkt gering von sich.
Er erniedrigt sich. Er macht sich klein.
Nicht, dass man diesen kriecherischen Imperativ irgendwo in der Bibel findet. Selbst Jesus ist hoch erhobenen Hauptes durch Palästina gelaufen.
Diese unterwürfige Haltung, dieses Leben in Pastelltönen, ist auch völlig überflüssig.
Der einzelne Mensch ist ohnehin schon ziemlich minimal, unbedeutend, leicht zerstörbar und von sehr begrenzter Haltbarkeit. Man ist als Mensch im Angesicht der Masse der Menschen in der Geschichte und im Angesicht des Weltalls und im Gegensatz zu Gott sowieso schon extrem gering, niedrig und bedeutungslos. Es ist völlig überflüssig, da jetzt noch einen drauf zu setzen. Bzw. einen drunter zu setzen. Ein einziger Geisterfahrer oder ein läppischer Pilz, und schon ist es vorbei mit Ihrer ganzen Herrlichkeit. Jede Galapagos-Schildkröte lebt länger als Sie.
Und Mose macht sich hier ja auch nicht klein.
Mose hält sich die ganze Geschichte hindurch nicht für gering.
Mose ist so souverän, dass er, als Gott ihm in Ägypten den Auftrag geben will und Mose alle seine Ausreden, warum er den nicht annehmen kann, aufgebraucht hat, einfach zu Gott sagt:
2.Mose 4,13
13 Mose aber erwiderte: Ach, Herr! Sende doch, durch wen du senden willst!
Ungekrochen
Gott, der große allmächtige gewaltige unnahbare Gott, erscheint Mose im Dornbusch, will ihm seinen Lebenstraum erfüllen, gibt ihm das Zeichen des Stabes, der zur Schlange wird und das Zeichen der Hand, die aussätzig und wieder gesund wird, und verspricht Mose, mitzugehen zum Pharao und dass das alles kein so großes Problem ist und dass die israelitischen Frauen auch Gold von den Nachbarinnen mitnehmen dürfen, und Gott beantwortet Mose alle Fragen, die der in diesem Zusammenhang hat, und dann sagt Mose „Nein!“
Das hat mit dem Bild eines demütigen Menschen, wie es in den Gemeinden so gerne verbreitet wird, nicht viel zu tun.
Und wenn man beim Fortgang der Geschichte das sieht, wie souverän Mose gegen alle seine internen Gegner ist – von Kriechen, Niedrigkeit und Unterwerfung ist da keine Spur. Das einzige Mal, dass Mose flieht und also seine eigene Gefährdung und Schwachheit deutlich macht, ist als Gott den Stab in seiner Hand in eine Schlange verwandelt.
Zurück zu unserer Ausgangsstelle, wo Mose nun wieder anfängt, die Bedingungen fürs Weitermachen aus Gott herauszupressen: Nachdem Gott in alle Bedingungen des Mose eingewilligt hat und sogar versprochen hat, sie überzuerfüllen, da verlangt Mose: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“
Das hat mit dem herkömmlichen Bild von Demut nicht mehr viel zu tun.
Das scheint Gott allerdings nicht zu stören.
Gott kann dem Mose zwar den Wunsch nicht erfüllen, weil es nun mal nicht geht, aber Gott kommt dem Mose so weit entgegen, wie es Gott nur irgendwie möglich ist. Mose bekommt das absolute Maximum dessen, was man bekommen kann.
Der demütigste Mensch auf Erden.
Mose will alles haben, was Gott zu bieten hat. Er reizt die Möglichkeiten bis zum letzten aus. Mose bringt Gott dazu, alles rauszurücken, was geht.
Haltung, bitte!
Möglicherweise haben Sie schon einmal Lukas 11,8 gelesen, wo der Nachbar dem Bittenden etwas nicht geben will, aber die Unverschämtheit des Bittenden lässt ihm keine andere Wahl, als es rauszurücken.
Das ist ein Gleichnis über das Verhältnis zwischen Betern und Gott.
Man sollte so beten können, dass Gott nicht „nein“ sagen kann.
Demut im biblischen Sinne heißt nicht, sich selbst klein zu machen oder gering von sich zu denken. Die Bibel sagt es oft genug, dass der Mensch wie Gras ist, heute grün und morgen Brennstoff, oder wie eine Wolke, die der Wind verweht (Jakobus 4,14). Sondern Demut heißt, mein Gegenüber hoch zu achten. Und wenn mein Gegenüber Gott ist, dann heißt Demut, Gott so hoch wie möglich zu achten – also einfach der Realität Rechenschaft zollen.
Und wenn mein Gegenüber ein Mensch ist, dann heißt Demut, diesen Menschen so hoch zu achten, wie Gott ihn hochachtet; so hoch von ihm zu denken, wie Gott ihn hoch gedacht hat. Und wenn Gott mich maßlos und ohne Sinn und Verstand liebt, dann davon auszugehen, dass Gott den anderen genauso liebt.
Demut gegenüber Gott heißt, Gott ernst zu nehmen. Nichts anderes.
Und das ist, was Mose hier macht. Er sagt:
· Gott, Du hast dieses und jenes gesagt, das will ich jetzt dann auch sehen.
· Gott, du hast dieses und jenes versprochen, und das will ich jetzt haben.
· Gott, bei Dir gibt es A und B, und ich will jetzt A und B.
· Gott, es ist Dein Volk, also nun handle auch so.
· Gott, Du kannst uns zu einem Elitevolk machen, also dann wollen wir das jetzt auch.
Demut vor Gott heißt, so lange auf das Mögliche zu pochen, bis man es hat. Und zwar auf das bei Gott mögliche; nicht auf das Menschenmögliche.
Zu Gott zu sagen „bitte bitte Lieber Gott bitte bitte“ zeugt keineswegs von Demut, sondern nur von mangelnder Sachkenntnis.
Im Vaterunser kommt das Wort „bitte“ nicht vor.
Und das demütigste, was Petrus je gemacht hat, war Jesus um etwas zu bitten, was für jeden Menschen zu groß ist, was nur Gott kann und wo ganz klar zum Ausdruck kommt, dass hier Gott handelt in seiner ganzen herrlichen Größe und Petrus den großen Gott volles Rohr handeln lässt.
Das demütigste, was Petrus je gemacht hat, war Jesus um den Befehl zu bitten, auf dem Wasser zu gehen.