Numeri 26 – warum noch einmal gezählt wurde

Nein, das mit der Bürokratie ist keineswegs die Erfindung eines preußischen Königs.

Gott hat es erfunden und hat zu Mose und zu Aarons Sohn gesagt, sie sollten noch einmal die Daten des Volkes erheben.

Dabei hatte Mose schon einmal gezählt, damals noch mit Aaron. Im zweiten Jahr nach dem Auszug aus Ägypten. Nachzulesen in Numeri 1.

Und jetzt also nochmal.

Weil die Verteilung des Landes anstand. Des Gelobten. Und da wollte Gott Gerechtigkeit haben.

Und während Gott mitunter ein recht buntes Verständnis von Gerechtigkeit hat, wollte er hier, dass dafür gesorgt ist, dass im Großen und Ganzen jeder die gleiche Menge Land bekam.

In diesem Fall: Ohne Ansehen der Person.

Noch mehr: Ohne Ansehen der Stammeszugehörigkeit der Person.

Wenn wir in das gelobte Land hineinkommen, so meinte Gott, dann machen wir es anders als die in Ägypten und Babylon und China.

Die Vorhersagen

Das hätte man nicht so machen müssen.

Gott hätte sich auf die Vorhersagen von Jakob berufen können, der ja einen bestimmten Segen über seine Söhne ausgesprochen hatte. Und falls der Segen des Mose schon auf dem Tisch lag, hätte man ihn bei der Verteilung des Landes ebenfalls berücksichtigen können.

Man hätte also sagen können: Da Issaschar laut Jakob (Gen 49,14) ohnehin ein knochiger Esel ist, brauchen wir ihm entweder nicht soviel Land zu geben wie den anderen, oder aber qualitativ schlechteres, weil er ja ohnehin nichts draus machen wird.

Oder man hätte andersherum argumentieren können: Da Mose den Stämmen Josefs eine unglaubliche Fülle an Segen vorausgesagt hat, kann man ihnen ja kärgliches Land zuweisen oder nicht so viel, denn Gottes Segen ist bekanntlich stärker als irdische Gegebenheiten.Numeri 26

Aber Gott wollte nicht, dass die Menschen sich aufgrund irgendwelcher alter Vorhersagen benachteiligt fühlen. Dass sie sich als Opfer von Kommentaren empfinden, die Jahrhunderte alt sind.

Gott wollte den Leuten auch keine Ausrede lassen: „Es ist uns alles nicht gelungen, weil man uns ungerechter Weise dieses und nicht jenes Land zugeteilt hat.“

Oder: „Wie hätten wir es mit der Hypothek solcher Vorhersagen denn hinbekommen sollen?“

Die Vorhersagen des Jakob mögen göttlicher Natur gewesen sein, aber niemand sollte gezwungen sein, sie gegen seinen Willen zu erfüllen. Gott wollte keine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die nur deshalb funktionierte, weil man sie als Maßstab für die Landverteilung genommen hatte.

Wenn Sie das Reich Gottes betreten, ist es völlig egal, was andere vorher über sie gesagt haben. Selbst wenn diese anderen noch so fromm waren. Wenn Sie das Reich Gottes betreten, sind Sie frei. Sie haben alle Möglichkeiten. Sie müssen nicht die Vorhersagen anderer Leute erfüllen. Sie sind nicht gebunden an alte Etiketten.

Die ganz alten Sünden

Die Beschreibung dieser Zählung am Ende der Wüstenwanderung ist ja nicht wirklich neutral.

Schon bei der Zählung von Ruben wird beschrieben, dass Datan und Abiram zu Ruben gehörten, die einen Aufstand gegen Mose angezettelt hatten. Und jeder Leser wusste ohnehin, dass Ruben zwar der Natur nach der Erstgeborene war, dieses Erstgeburtsrecht aber an die Söhne Josefs verloren hatte, und den Grund wusste auch jeder. Wenn das hier so deutlich erwähnt wird, hätte man meinen können, der Stamm Ruben bekommt weniger oder schlechteres Land, weil er es nicht anders verdient hat. Aber nichts dergleichen: Weder alte noch neuere Sünden zählen hier.

Bei der Zählung des Stammes Juda werden Er und Onan „mitgezählt“, obwohl es nichts zu zählen gibt. Und aufgrund der Tatsache, dass es nichts zu zählen gibt, wissen auch alle von der Tatsache, dass der Stamm Juda nicht nur eine Kanaaniterin als Stammmutter hat, sondern dass der größere Teil des Stammes aus einer illegitimen Beziehung zwischen dem Stammvater und der Frau seines ältesten Sohnes entstammt.

Zählt irgendwie? Nein, wird erwähnt, wahrscheinlich um zu zeigen: Genau das zählt nicht.

Wenn Ihre Vorfahren einmal Fehler gemacht haben, oder wenn Sie aus anderen Gründen mit einem familiären schlechten Ruf behaftet sind: Bei Gott zählt es nicht. Vielleicht haben Sie oder Ihre Familie eine Geschichte; aber dass diese Geschichte Sie hat, das hört mit Ihrem Eintritt ins Reich Gottes auf.

Gesellschaftlich mag es schwierig sein, wenn Sie Roma sind oder einen türkischen Nachnamen haben. Aber wenn Sie das Reich Gottes betreten, fängt die Geschichte bei Null an, und Sie haben genau die gleichen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten wie alle anderen auch.

Die Geschehnisse in der Wüste

Zwischen der ersten Zählung in der Wüste und der letzten bestehen signifikante Unterschiede.

So haben sich die Mitglieder des Stammes Simeon von 59.000 auf 22.000 verringert. Das ist ein Rückgang um 60%. So ein Rückgang ist in 40 Jahren nicht einfach durch eine geringere Geburtenrate zu erklären. Sondern das kann nur heißen, dass dieser Stamm durch die göttlichen Strafaktionen, die es in der Wüste gegeben hat, besonders betroffen worden war. Was dann wiederum hieße, dass die Mitglieder dieses Stammes es mit dem Gehorsam gegenüber Gott offenbar nicht so genau nahmen.

Der Stamm Manasse wiederum ist um 20.000 Personen gewachsen, und ist ein Zuwachs von 60%. Wenn man möchte, kann man das als Segen bezeichnen.

Und diese Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Zählung, die werden jetzt berücksichtigt. Man geht bei der Verteilung des Landes von der Gegenwart aus, vom Hier und jetzt, nicht davon, wie groß ein Stamm in Ägypten war.

Wenn man die alten Zahlen für die Verteilung des Landes genommen hätte, dann hätte jetzt jede Person aus dem Stamm Simeon mehr als doppelt soviel Land bekommen wie eine Person aus einem Stamm, bei dem sich nicht viel an der Zahl verändert hat.

Und weil jeder aus dem Stamm Manasse nur die Hälfte von dem bekommen hätte, was die Leute aus den unveränderten Stämmen bekommen hätten, hätte jeder aus Simeon das Vierfache an Land bekommen im Vergleich zu jemandem aus dem Stamm Manasse.

Wenn Sie also auf dem Weg ins gelobte Land Fehler gemacht haben – weil Sie Gott falsch verstanden haben; weil Ihnen der Mond zu neu war; weil Sie Gott nicht geglaubt haben; - dann dürfen Sie davon ausgehen, dass Gott nicht besonders nachtragend ist. Für Gott ist es wichtig, dass das gelobte Land tatsächlich als solches empfunden wird und nicht als eine weitere Ungerechtigkeit im Weltgeschehen.

Gott möchte, dass Sie in seinem Reich glücklich sind und sich nicht als Opfer der Vergangenheit fühlen oder als Opfer eines nachtragenden Gottes oder als Opfer anderer, von denen Sie überholt wurden.

Gott will, dass Sie Hoffnung haben. Das können Sie aber nicht, wenn Sie von Anfang an die schlechteren Karten haben. Wenn es so aussieht, als hätten Sie ohnehin keine Chance.

Folgerung

Weil Gott wirklich jeder einzelnen Nase die gleichen Chancen im gelobten Land geben wollte, darum wurde also kurz vor der Landnahme neu gezählt. Man fing im Grunde wieder bei Null an, und das Land wurde mengenmäßig genau nach der aktuellen Zahl der vorhandenen Kämpfer verteilt.

Aber nicht nur das: Die Lage der einzelnen Ländereien wurde verlost. Und zwar nicht deshalb, weil man das Losen als eine Form göttlichen Wirkens verstand, nach dem Motto: Das Los hat genau das bestimmt, was Gott ohnehin exakt so bestimmen wollte – also das Los ist ein Stellvertreter Gottes, oder Gott handelt durch das Los, und die Bestimmungen des Loses sind göttlich.

Sondern man wollte in diesem Falle wirklich den Zufall. Jeder Stamm hatte die gleiche Chance, Land in der Ebene oder Land in den Bergen zu bekommen. Losen wurde in diesem Fall als die gerechteste Lösung empfunden, weil es niemanden aufgrund seiner Person bevorzugte.

Fazit

4.Mose 26Nicht selten kommt einem der Gedanke, dass das Leben als solches sehr ungerecht ist.

Vermutlich ist zwar bereits die Anwendung des Maßstabs „Gerechtigkeit“ auf das Leben als solches ein ziemlicher Blödsinn, aber das Denken der Menschen ist oft so, dass sie fragen, warum dieses oder jenes gerade ihnen passiert oder warum ausgerechnet sie in solche Verhältnisse hineingeboren wurden.

Bleiben wir also mal bei dieser Aussage: Das Leben als solches ist ungerecht.

Gott will in seinem Reich nun das Gegenteil schaffen.

Denn unser Gefühl, dass das Leben sehr ungerecht ist, hängt ja mit dem Gefallensein der Welt zusammen. Also damit, dass die Welt in die Hand des Teufels gefallen ist und nun ein furchtbares Durcheinander und eine unbeschreibliche Blüte des Bösen vorherrscht.

Wenn es nun ein Reich geben soll, dass vollständig konträr zum Herrschaftsbereich des Teufels aufgebaut sein soll, dann muss es bezüglich der Chancen für völlige Gleichheit sorgen.

Genauso ist es im Neuen Testament: Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Lukas 19,12) beschreibt diese Tatsache, dass alle Knechte Jesu während der Abwesenheit ihres Königs die gleichen Chancen haben. (Bitte nicht mit dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten verwechseln! Dort geht es um etwas völlig anderes: Die Beträge sind ungleich höher, und sie sind unterschiedlich.)

Auch wenn Paulus in Galater 3,28 sagt, dass es in Bezug auf das Erbe der Verheißung Männer und Frauen, Sklaven und Freie, Juden und Heiden die gleiche Ausgangsposition haben, beschreibt das dieses Bemühen Gottes, einen Gegenpol gegen die Ungerechtigkeit der Welt zu etablieren.

Ungleich und ungerecht

Das irdische Leben ist ungerecht. Oder wenn Sie diese Aussage ohne eine Wertung haben wollen: Es ist ungleich. Vom irdischen Segen hat Bill Gates vermutlich mehr als manch ein anderer.

Gott erschafft mit seinem Reich genau das Gegenteil: Was den Segen angeht, haben alle die gleiche Ausgangsposition. Das Leben ist weder ungleich noch ungerecht, sondern es ist gerecht und sehr wohlhabend.

Und wenn die Bibel soviel über das Geben spricht, dann deshalb, weil die wohlhabende Gerechtigkeit des ewigen Lebens gerne auf das ungerechte irdische Leben ausstrahlen darf.