Numeri 21,4-9 – in schwierigen Zeiten die Schwierigkeiten erhöhen

Dieser Artikel erklärt Ihnen, warum die Geschichte mit der Schlange auf dem Fahnenmast so eine zentrale Geschichte im alten Testament ist. Und warum Jesus sie dem Nikodemus als Beispiel nennt.

Natürlich waren das sehr schwierige Zeiten. 

Man war seit 38 Jahren in der Wüste. Dabei war man losgezogen, weil man in ein gelobtes Land wollte. Und ein Prozess von 38 Jahren, dessen Ende nicht so richtig zu sehen war – das war schon schwierig.

Noch dazu war Aaron gerade gestorben, also eine Identifikationsfigur bei der ganzen Sache, ein Anführer; wieder einer weniger, von dem man dachte, er weiß vielleicht, was er da macht.

Und jetzt ging der Zug also weiter, und in welche Richtung ging man? Nach Süden. Vielleicht auch ein bisschen nach Südosten. Aber das gelobte Land lag im Norden. Man lief also wieder ein Stück Richtung Ägypten. Eindeutig in die falsche Richtung.

4.Mose 21,4-5

4 Und sie brachen auf vom Berg Hor, auf dem Weg zum Schilfmeer, um das Land Edom zu umgehen. Und die Seele des Volkes wurde ungeduldig auf dem Weg;

 5 und das Volk redete gegen Gott und gegen Mose: Wozu habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Damit wir in der Wüste sterben? Denn es ist kein Brot und kein Wasser da, und unserer Seele ekelt es vor dieser elenden Nahrung.

Natürlich hatten Gott und Mose das eine oder andere bemerkenswerte Wunder vollbracht. Darum war man ja mitgegangen. Weil es sowas ähnliches wie Gottesbeweise gab.

Aber jetzt war das Ganze irgendwie in Perspektivlosigkeit geendet. Man hatte das Gefühl, die ganze Zeit im Kreis zu laufen, und das auch noch unter schlechten Bedingungen wie Wassermangel und einseitige Ernährung.

Der Preis der Freiheit

Also eigentlich kann man den Protest der Leute verstehen. Wenn man mit Gott unterwegs ist, dann erwartet man irgendwann mal eine Lösung. Wenn man Verheißungen von Gott hat, dann will man nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten. Da könnte man sich ja genauso gut auf die Versprechen der Regierung oder der Werbeindustrie verlassen.

Aber andererseits ist das genau der Unterschied zu Ägypten. Das ist der Unterschied zwischen Sicherheit und Freiheit. Und aus Ägypten waren die Israeliten nominell befreit worden. Aber jetzt wurde ihnen die Freiheit zu frei, und die tausend Möglichkeiten, mit denen Gott sie überraschen konnte, waren zu viele. Sie wollten einen Schlusspunkt; sie wollten sich nicht immer nur auf Gottes Wort verlassen; sie wollten endlich auch mal was in der Hand haben. Und wo man jetzt wieder in die falsche Richtung zog, rückte dieser Schlusspunkt und die Lösung mal wieder in weite Ferne.

Gott versteht den Protest der Leute nicht und reagiert entsprechend. Immerhin: Gott nimmt die Leute ernst. Er ignoriert sie nicht. Aber ist dagegen; sogar sehr.

4.Mose 21,6

6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk, und sie bissen das Volk; und es starb viel Volk aus Israel.

Nun darf man sich das nicht so vorstellen, dass auf einmal eine Million Schlangen auftauchten, um eine Million Menschen zu beißen.

Das Gelände, auf das sich die Israeliten verteilten, war recht groß, und die Schlangen werden mal an einem Ende aufgetaucht sein und mal an einem anderen, und wenn man sich vorstellt, dass der ganze Zug nicht so aussah wie in den Kinderbibeln, also alle in einer Reihe und gleichzeitig, sondern nach und nach von einem Lagerplatz zum nächsten, dann waren die Schlangen noch unberechenbarer.

Die Maßstäbe

Ansonsten stehen wir mal wieder vor der Tatsache, dass Gott mitunter sehr hohe Ansprüche an seine Leute stellt. Gott verlangt eine Selbstoptimierung, die sehr anders ist als das, was in unserer heutigen Gesellschaft unter Selbstoptimierung verstanden wird.

Gott verlangt, dass die Leute mit seinen Maßstäben mitgehen und seine Gedanken für gut halten. Gott verlangt ein Leben auf einem hohen ethischen Niveau, was nicht zwangsläufig ein Leben mit einem hohen Niveau an Schokolade ist.

Gott verlangt, dass man an seinen großen und hehren Zielen mitarbeitet und an diese Ziele glaubt.

Und dass man Gott letztlich als unfehlbar anerkennt.

Man reagiert

Nachdem Gott nun also recht aggressiv reagiert hat, kommen die Israeliten zur Einsicht: 4.Mose 21,7

7 Da kam das Volk zu Mose, und sie sagten: Wir haben gesündigt, dass wir gegen den HERRN und gegen dich geredet haben. Bete zu dem HERRN, dass er die Schlangen von uns wegnimmt! Und Mose betete für das Volk.

Was hier ganz nebenbei vorausgesetzt wird, ist, dass Mose den Murrenden das Murren gegen Mose vergeben hat. Er ist nicht mehr beleidigt. Nicht umsonst steht in Num 12,3, dass Mose der demütigste von allen Menschen war.

Aber das nur nebenbei.

Keine Wegnahme des Bösen

Mose betet also.

Der Text des Gebets wird uns nicht überliefert. Vermutlich aus gutem Grund. Wir wissen nicht, was Mose zu Gott gesagt hat. Allerdings wissen wir, dass Gott zugehört hat.

Wobei Gott aber nicht im Traum daran denkt, den Wunsch des Volkes zu erfüllen und die Schlangen zu beseitigen. Nein nein, die Schlangen bleiben da.

Denn der Fehler des Volkes war ja mangelndes Vertrauen zu Gott. Die dachten, Gott macht das irgendwie nicht richtig. Da wäre es jetzt eine billige Konsequenz, wenn man einfach die Schlangen wieder beseitigt, weil das Volk angeblich seine Meinung geändert hat.

4.Mose 21,8-9

8 Und der HERR sprach zu Mose: Mache dir eine Schlange und tu sie auf eine Stange! Und es wird geschehen, jeder, der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben bleiben.

 9 Und Mose machte eine Schlange von Bronze und tat sie auf die Stange; und es geschah, wenn eine Schlange jemanden gebissen hatte und er schaute auf zu der ehernen Schlange, so blieb er am Leben.

Das ist natürlich eine selten blöde Idee: Wenn man in irgendeiner Ecke von dem Gebiet, über das die Israeliten verteilt waren, von einer Schlange gebissen wurde, dann gab es an einer einzigen Stelle dieses Gebietes eine Fahnenstange, an der eine Schlange aus Metall befestigt war, und da musste man jetzt hingehen und diese Metallschlange anschauen und dabei denken, man sei jetzt wieder gesund.

Das ist ja Esoterik pur. So etwas würde man heute in die Schublade der Verschwörungstheorien einsortieren: Gesundwerdung durch Anguckung. Von der Metallschlange gehen unsichtbare Strahlungen aus, und die geheime Elite hat mittels einer geheim gehaltenen Technik der Metallschlange Macht verliehen.

Wie du mir

Es wäre viel praktischer gewesen, wenn Gott die Schlangen einfach wieder beseitigt hätte.

Aber wer bisher dem Manna und der Wolkensäule und den verschiedenen Wundern mit dem Wasser und den Plagen in Ägypten nicht geglaubt hat, dem wird jetzt eine ganz besondere Delikatesse präsentiert: Er muss nämlich an die Metallschlange auf der Fahnenstange glauben.

Wir haben ein Problem, und man löst das Problem, indem man eine Metallskulptur des Problems anschaut. Das, was das Problem lösen soll, sieht genau so aus wie das Problem. Wenn man wenigstens ein Krokodil anschauen könnte, das die Schlange frisst, oder einen Adler.

Wenn man Pfefferminztee trinken müsste gegen das Schlangengift oder eine Medizin. Dann wäre irgendwie ein Sinn und ein Zusammenhang erkennbar.

Kein Mittel gegen das Böse

Wir haben also das Böse, nämlich die Schlangen. Und auf das Gebet des Mose hin beseitigt Gott nicht etwa das Böse, sondern er bietet ein ziemlich absurdes Mittel an, damit man an dem Bösen nicht stirbt.

Damit man mit dem Bösen leben kann.

Damit man trotz des Bösen leben kann.

Damit einem das absolut tödliche Böse nichts anhaben kann.

Und ganz nebenbei erwähnt: Das ist einer von 2 Momenten im Alten Testament, wo es eine Heilung von Todgeweihten gibt. (Die zweite ist Hiskia in Jes 38).

Zusammenfassung des ersten Teils:

1.    Wenn man mit Gott unterwegs ist, scheint einem der Weg manchmal sehr seltsam. Entweder sieht die Richtung seltsam aus, oder es ist kein Ende oder keine Lösung in Sicht, weil sich alles in Freiheit und nicht in Festlegung bewegt. Es ist in so einem Fall keine vernünftige Option, den Weg anzuzweifeln. Gott ist nie gut darauf zu sprechen, wenn man der Meinung ist, der macht das nicht richtig. Gott braucht nun mal keine Sicherheit. Darum sind dessen Wege so.

2.    Es ist nicht zu erwarten, dass Gott das Böse beseitigt. Nach 2000 Jahren Christenheit haben wir das nun auch als Erfahrungswert: Das Böse und wir müssen nebeneinander leben. Aber: Es gibt ein Mittel, das Böse zu überleben.

Jetzt kommt Nikodemus

Nachdem Jesus dem Nikodemus gesagt hatte, dass der Nikodemus sowieso nicht verstehen wird, was Jesus ihm erzählt, und nachdem also klar ist, dass man mit Hirnschmalz an dieser Stelle nicht weiterkommt, zeigt Jesus dem Nikodemus eine andere Möglichkeit, wie man miteinander klarkommen kann:

Johannes 3,14-15

14 Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, 

15 damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben habe.

Das mit der Metallschlange war unlogisch. Da wäre niemand von alleine durch Nachdenken drauf gekommen, dass man durch Anschauen der Metallschlange vom Tod gerettet wird.

Aber man wusste es, weil Gott es gesagt hatte. Man hatte die Information über die Wirkung der Metallschlange nicht durch intelligentes Nachdenken erhalten, sondern durch Gottes Bekanntmachung.

Dass Gottes Sohn als Krimineller zum Tode verurteilt wird, war schon an sich nicht zu erwarten. Aber dass man vom eigentlichen Tod gerettet wird, wenn man daran glaubt, dass dieser Hingerichtete tatsächlich Gottes Sohn war, da wäre ja nun niemand drauf gekommen.

Aber wir wissen es, weil Jesus es dem Nikodemus gesagt hat. Und Nikodemus sollte es verstehen können, denn das mit der Schlange am Fahnenmast, das hatten wir doch schon einmal. Und das hat damals, entgegen aller Logik, funktioniert.

Jesus erklärt dem Nikodemus also nicht Sinn und Zweck des Kreuzes, denn das würde der ohnehin nicht verstehen. Aber Jesus sagt zu Nikodemus: „Guck mal, das kennst du schon.“

Im Übrigen kannte Nikodemus das auch schon aus Jesaja. Das vierte Lied vom Gottesknecht beginnt so: Jes 52,13

13 Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln. Er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein.

Jesus gibt Nikodemus nichts zum Verstehen. Er gibt dem etwas zum Glauben. So wie damals die Metallschlange.

Die Komplexität

Es gibt in der Theologie und in der Christenheit viele Erklärungen für das Kreuz.

Warum Gottes Sohn ausgerechnet als Krimineller gekreuzigt werden musste.

Wenn man diese ganzen Erklärungen aber zuende denkt, dann bleibt meistens irgendwo ein Haken. An irgend einer Stelle wird es immer ziemlich unlogisch.

An irgendeiner Stelle versteht man die Logik nicht mehr. Weil wir es hier eben nicht mit Kernspaltung oder Kurvenberechnung zu tun haben, sondern mit göttlichen Dingen aufgrund von göttlichem Denken und göttlicher Logik.

Und das soll man gar nicht verstehen. Denn wenn man Gott verstände, dann wäre man selber Gott.

Der Anspruch

Als Gott die Anweisung mit der Metallschlange gab, war das ein hoher Anspruch: Man musste daran glauben, dass das Anschauen einer Metallschlange an einer Fahnenstange von einer tödlichen Verletzung heilt. Das war im Vergleich zu dem, was Magier und heidnische Priester von einem verlangten, ziemlich peinlich.

Als Gott das ewige Leben bereitstellte, verknüpfte er es mit dem Anspruch, dass man daran glauben musste, dass der Sohn Gottes als Krimineller zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war.

Keine eigene Leistung, kein gutes Leben, keine Askese, kein Verzicht auf Schokolade: Die Versöhnung mit Gott gibt es nur, wenn man den Gekreuzigten anschaut und glaubt, dass Gott sich jetzt mit mir einig ist.

Der Vorteil: Das kann jeder.