Hebräer 13,22-24 nicht für uns

Selbstverständlich hätte es niemand gewagt, uns einen solchen Brief zu schreiben. Aus folgenden Gründen:

1. Die Länge der Kürze

Der Autor meint doch in Vers 22 tatsächlich, er habe nur kurz geschrieben.

Das stimmt natürlich in Anbetracht des Inhaltes. Man hätte das weiter auswalzen können.

Aber wenn unsere heutigen Gemeinden einen inhaltsschweren Brief dieser Länge bekommen würden, dann würden noch nicht einmal 10% der Gemeindeglieder ihn lesen oder bei seiner vollständigen Verlesung anwesend sein.

Wir leben in einer Zeit schneller Schnitte, und die Aufmerksamkeitsspanne ist so kurz geworden, dass man dem Brief gar nicht folgen könnte.

Außerdem ist das viel zu viel biblische Theorie. „Lehre“ steht in den Gemeinden heute nicht hoch im Kurs, Erkenntnis ist eher unwichtig, Hauptsache man betet an, also man worshipt und lobpreist. (Und zwar lobpreist man etwas, was man im Grunde nicht verstanden hat. Macht aber nichts, denn das Wichtigste ist, dass ich mich in meinem Worship wohlfühle. Realitätsbezug ist unbedeutend.)

Und ich rede hier von Gemeinden aus dem evangelikalen und charismatischen Umfeld. Mit den volkskirchlichen Gemeinden brauchen wir uns hier gar nicht zu befassen.

Kein Mensch käme also auf die Idee, uns so einen Brief zu schreiben, denn er wüsste, das wäre verschwendete Mühe. Denn die lesende Seite wird sich nicht die Mühe machen, den Brief zu studieren und zu verstehen. Zu lang, zu kompliziert.

2. First things last

Dass die Freilassung des Timotheus erst am Ende des Briefes erwähnt wird, würde man dem Schreiber als beispiellose Lieblosigkeit auslegen.

Sowas gehört an den Anfang! Vor den Theorieteil!

Sie kennen das aus Ihrer Gemeinde: Die Nachrichten über das Wohl und Wehe der anderen Gläubigen sind enorm wichtig und finden eine große emotionale Resonanz. Die Nachrichten über Gottes Meinung erträgt man, aber so genau will man es gar nicht wissen, und alles was in Richtung „Bibelstunde“ geht oder „Schriftbetrachtung“, das hat kurz zu sein und auf einem möglichst niedrigen, sofort anwendbaren Niveau.

Der Mensch ist in unseren Gemeinden sehr wichtig geworden, und das wird mit der Nächstenliebe begründet. Ist natürlich Unfug, denn die Nächstenliebe bezieht sich auf alle Menschen, und die Gefangennahme muslimischer Oppositioneller im Iran wird in den Gemeinden keineswegs verkündet.

Und wenn, dann ist dem Gebot der Nächstenliebe ein anderes gleichgeschaltet, nämlich das der Gottesliebe. Wenn man sich auf dieses Gebot bezieht, müsste man zumindest jeden zweiten Sonntag die Befindlichkeitsnachrichten ans Ende des Gottesdienstes stellen.

Der Humanismus ist weitaus breitbeiniger in unsere Gemeinden hineinmarschiert, als wir das gerne wahrhaben wollen.

3. Niemals Solidarität mit Autoritäten

Wenn man bei uns solche Briefe schreiben würde, dann würde man immer gegen die Führer, die Prediger und die Pastoren schreiben.

Der Hebräerbrief stützt aber die vorhanden Autoritäten und ruft keineswegs zur Rebellion auf, sondern grad im Gegenteil.

Leider hat uns auch hier der Zeitgeist erwischt, denn die allgemeine Meinung, dass Politiker, Banker und Wirtschaftsbosse (und damit die Führung unseres Landes) in jeder Hinsicht schlecht sind, und zwar praktisch ausnahmslos und immer, hat sich in der Gemeinde auch auf die Gemeindeleitung übertragen.

Natürlich ist die Gemeindeleitung fehlerhaft. Das ist beweisbar und wahr.

Manchmal ist es auch nicht wahr. Dann ist das ein subjektives Empfinden. Weil man anlässlich seines letzten runden Geburtstages vom Pastor weder erwähnt noch besucht wurde. Und weil der Prediger einfach nicht das macht, was auf meiner Wunschliste steht.

Allerdings gibt es zu einer fehlerhaften Gemeindeleitung keine Alternative.

Die ganze ständige Kritisiererei nützt gar nichts. Denn man kann entweder eine fehlerhafte Gemeindeleitung haben, oder gar keine.

Aber trotzdem ist es extrem uncool, in einem Brief die vorhandenen Machtstrukturen zu stützen.

Rebellion und Widerstand ist modern, nicht die Stärkung des Vorhandenen.

Darum schreibt uns niemand

Und aus diesen drei Gründen müssen wir mit den Newslettern und Infoblättchen vorlieb nehmen, die es in unserer Gemeinde halt so gibt.

In der Regel ziemlich dünnes Zeug.

Aber wir haben es nicht anders gewollt.