Kinderlieder als Beweis

Nein, die Schriftgelehrten wollten die Kinder im Tempel nicht zum Schweigen bringen.

Auch so wieder so christliches Gerücht. Und so einfach. Weil man von dem Einzug Jesu in Jerusalem weiß, dass damals, auf der Straße, die Pharisäer das Bejubeln Jesu als Messias unterbinden wollte, darum braucht man sich mit dem Thema nicht mehr zu beschäftigen.

Man weiß ja schon alles zu diesem Thema.

Und wenn jetzt wieder gesungen wird und wenn das wieder von den Schriftgelehrten kommentiert wird, dann müssen wir uns darüber ja keine Gedanken mehr machen. Wir wissen ja schon von der Straße, was die führenden Juden wollen.

Hier sind wir jetzt aber nicht mehr auf der Straße, sondern im Tempel.

Matthäus 21,12–17 (ELB)

12Und Jesus trat in den Tempel ein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften, und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um.

13Und er spricht zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden«; ihr aber macht es zu einer »Räuberhöhle«.

14Und es traten Blinde und Lahme in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie.

15Als aber die Hohen Priester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig

16und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen?

Jesus hat sich gerade so benommen, als wäre er der Herr des Tempels. Er hat nämlich die Kaufleute aus dem Vorhof rausgeworfen. Das war eine eindeutige Botschaft an die Hohepriester, dass Jesus sich für höhergestellt hielt. Er regierte in einem Bereich, in dem eigentlich die Hohepriester dachten, dass sie das Sagen hatten.

Matthäus 21,14Nun gab es nicht nur eine Sache, die den Ruf des Tempels im Vorhof beschmutzte. Neben den Kaufleuten, die dort die Angelegenheiten des Teufels vertraten, waren dort auch all die Bettler, die aufgrund einer Krankheit oder einer Behinderung auf Almosen angewiesen waren.

Diese Behinderungen sind letztlich auch ein Werk des Teufels, wenn auch oft indirekt. Damit hatte aber der Teufel in den Behinderten eine zweite Bastion im Tempel, und es passt natürlich irgendwie nicht mit Gottes Liebe und Zuwendung und dem Gedanken vom gelobten Land zusammen, dass ausgerechnet an Gottes Wohnort sich das Elend so ballte. (Es gab ja vermutlich nirgendwo in Israel eine größere Behindertendichte als rund um den Tempel.)

Noch dazu, wo die Juden Krankheit und Behinderung immer als Folge von Sünde verstanden. Dann war hier ziemlich viel Sünde versammelt.

Also reinigte Jesus den Vorhof des Tempels auch von dieser Befleckung und heilte alle Behinderten, die dort zu ihm kamen.

Und das sahen jetzt die Hohenpriester und die Schriftgelehrten.

Dass Jesus den Tempel in jeder, aber wirklich jeder Hinsicht reinigte und sich in jeder Hinsicht als der Herr des Tempels benahm.

Es hatte ja schon Aufsehen erregt, als Jesus weit weg vom Tempel in Galiläa solche Wunder getan hatte. Wunder, die es seit Elia nicht mehr gegeben hatte, und Jesus hatte die Menge der Wunder Elias verhundertfacht.

Und dass die Blinden sehen werden und die Gelähmten springen werden wie Hirsche, das war im den Schriften als ein Zeichen des Herrschaftsantritts Gottes angekündigt. Wenn die Feinde Gottes besiegt und das Sündige endlich beseitigt würde, dann wäre das das Zeichen!

Jesaja 35,5–6 (ELB)

5Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet.

6Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jauchzen wird die Zunge des Stummen.

Und jetzt passiert das mit dem Anspruch eines Herrschers im Tempel! Auf Zion! Das, was geschehen soll, wenn Gott seine Herrschaft antritt!

Und selbstverständlich stellte sich für die Schriftgelehrten die Frage, ob Jesus der Messias sei. Denn das, was die Leute laut dem Johannesevangelium diskutierten, nämlich wie der Messias denn das noch toppen sollte, was Jesus machte, das bewegte die Schriftgelehrten natürlich auch.

Und es war nicht zufällig, dass die zentrale Frage, die der Hohepriester beim Verhör kurz vor der Kreuzigung Jesus stellte, diese war: Matthäus 26,63 (ELB)

63Jesus aber schwieg. Und der Hohe Priester sagte zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes!

Und jetzt waren da im Tempel diese Kinder, die das sangen, was sie auf der Straße die Leute hatten singen hören und von dem sie wussten, dass das eigentlich so ein bisschen was Verbotenes war, und so wie Kinder gerne schmutzige Wörter benutzen, weil sie sehen, wieviel Macht diese Worte haben, darum sangen diese jetzt hier im Tempel in der Nähe von Jesus diese Lieder.

Und jetzt sahen die Schriftgelehrten diese Wunder im Tempel! Wunder, die wir alle noch nie gesehen haben! Und diese Kinder, die Auszüge aus Psalm 118 sangen!

Matthäus 21,15–16 (ELB)

15Als aber die Hohen Priester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig

16und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen?

Jetzt war doch Jesus mit Handeln dran! Jetzt musste Jesus doch klarstellen, was Sache war!

Und wenn er nicht der Messias war, dann musste er, wenn er auch nur halbwegs gradlinig und ehrlich war, diese Singerei unterbinden, einfach weil sie nicht wahr war.

Wenn er aber der Messias war, dann musste er jetzt doch an dieser Stelle handeln! Wenn diese Kinder recht hatten und wenn im Tempel diese speziellen Wunder geschahen, dann musste Jesus doch das tun, was der Messias tun musste! Nämlich die Macht ergreifen!

Nicht gegen die Schriftgelehrten, sondern gegen die Römer und gegen die Sünder!

Es war in den Augen der Schriftgelehrten grob fahrlässig und eigentlich strafbar und undenkbar, dass der Messias kam und dann nicht die Macht ergriff!

Also ergriff. Nicht wartete, bis die Römer sie ihm gaben. Sondern den gottlosen Römern die Macht wegnahm und die Sünde aus dem Land verbannte.

Darum waren die Schriftgelehrten hier so entrüstet, weil Jesus überhaupt nicht adäquates machte!

Die Frage der Schriftgelehrten „hörst du, was diese sagen?“ soll also heißen: Was sagst jetzt du dazu? Du musst doch jetzt Stellung beziehen! Du kannst doch nicht gleichzeitig handeln wie ein Messias und nicht handeln wie ein Messias!

Jesus seine Antwort

Jesus antwortet den Schriftgelehrten nun zum ersten, dass er das tatsächlich gehört hat, was die Kinder singen. „Ja“, sagt Jesus. Ich habe das gehört.

Matthäus 21,16 (ELB)

Jesus aber sprach zu ihnen: Ja, habt ihr nie gelesen: »Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?

Und Jesus sagt: Es ist doch alles richtig. Es ist jetzt genauso wie in den heiligen Schriften beschrieben. Die Unmündigen loben Gott.

Soweit so gut.

Der Satz aus dem Psalm 8, den Jesus hier zitiert, der geht natürlich noch weiter. Und die Schriftgelehrten wussten selbstverständlich, wie der weitergeht. Und die Leser, für die Matthäus schreibt, die wussten es auch, weshalb Matthäus das hier nicht weiter erklärt: Psalm 8,3 (ELB)

3Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet wegen deiner Bedränger, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen.

Die Schriftgelehrten sagten also: Jesus, du musst etwas machen!

Und Jesus antwortet: Nein, ihr müsst etwas machen! Ihr seid nämlich die Feinde, die zum Schweigen gebracht werden sollen.

Die Schriftgelehrten sagten: Der Ball ist bei Jesus.

Jesus sagte: Das Singen der Kinder beweist: Der Ball ist bei den Schriftgelehrten. Und damit lässt Jesus sie stehen.

Matthäus 21,17 (ELB)

17Und er verließ sie und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und übernachtete dort.

Der Psalm sagt, dass das Singen der Kinder besagt, dass die Gegner Gottes erledigt sind. Und da die Kinder über Jesus singen, sind eben die Feinde Jesu damit erledigt.

Die Entscheidung, ob Jesus der Messias ist, liegt also nicht bei Jesus.

Sondern die Schriftgelehrten müssten sich entscheiden. Denn wenn sie Feinde von Jesus bleiben, dann haben sie ein jetzt Problem. Das ist, was die Kinder singen.

Der Glaube

Hier wird das grundsätzliche Problem der Schriftgelehrten deutlich: Sie wären durchaus bereit, Jesus als den Erlöser anzuerkennen.

Wenn keine Zweifel mehr beständen.

Wenn Jesus den unwiderlegbaren Beweis antritt.

Anders gesagt: Wenn für die Schriftgelehrten kein Risiko mehr besteht, etwas Falsches zu machen.

Das ist aber genau das Gegenteil von dem, was Jesus als Programm für seine Jünger hat: Glaube.

Der Glaube hat immer das Risiko. Ob das Wasser trägt, weiß man, wenn man aus dem Boot gestiegen ist.

Ob man die Dämonen austreiben kann, weiß man, nachdem man es probiert hat.

Ob man Goliath besiegen kann, weiß man, nachdem man es mit den besten Mitteln, die man hat, versucht hat.

Es gibt keine weltliche Sicherheit. Theoretisch gibt es ein enormes Risiko.

Aber nur theoretisch. Denn praktisch weiß man, dass Gott diejenigen, die ihm vertrauen, nicht hängen lässt.

Aber auch dafür gibt es keinen Beweis. Das weiß man erst hinterher, wenn man es versucht hat.

Anwendung auf ich

Jetzt stehe ich also da.

Das, was Gott macht, entspricht nicht meinen Vorstellungen.

Wenn Gott mich liebt, dann müsste er doch …

Wenn dieses oder jenes passiert, dann kann das nicht richtig sein. Dann kann ich Gott nicht vertrauen, denn die Umstände sind sehr befremdlich.Matthäus 21,16

Wer ist also am Ball?

Natürlich Gott. Gott muss etwas ändern. Gott muss sich so verhalten, wie ich es für richtig halte, und dann ist mein Glaube stark und belastbar.

Nein, sagt Gott. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie du dir das vorstellst, dann bist du am Ball. Dann musst du handeln.

Es ist ja nicht so, dass ich völlig orientierungslos auf endloser Steppe stehe.

Die Schriftgelehrten hatten genügend Indizien und Informationen.

Zuletzt eben noch diese: Jesus hat die Kaufleute aus dem Tempel geworfen und damit seinen Anspruch als Herr über den Tempel bekräftigt. Er hat im Tempel die Behinderten geheilt und damit ein einmaliger Art und Weise und nun wirklich vor den Augen der Schriftgelehrten das gemacht, was Jesaja 35 für das Kommen Gottes als Zeichen ankündigt.

Und jetzt singen auch noch die Kinder das, was ohnehin offensichtlich war.

Ja, aber das, was wir uns aus unserer Sicht am meisten wünschen, das geschieht nicht. Die Römer werden nicht vertrieben und die Sünde wird nicht ausgemerzt.

Gott macht jede Menge. Aber das, was mir am wichtigsten wäre, das macht er nicht.

Und also entscheide ich mich auf nicht für Gott oder für seinen Weg.

Denn Gott ist am Ball. Gott muss sich ändern. So lange, bis ich zufrieden bin.

Keine Fehler

Dummerweise muss man voraussetzen, dass Gott keine Fehler macht.

Wenn es also nicht so läuft, wie ich mir das wünsche, muss ich leider davon ausgehen, dass trotzdem alles richtig ist.

Und infolgedessen müsste ich meine Haltung gegen Gott und gegenüber seinem Handeln ändern.

Der Paulus hat schon gewusst, warum er sagte (Eph 5,20), dass man Gott immer für alles danken soll. „Immer“ und „für alles“ ist sozusagen ein doppelter Superlativ.

Immer für alles danken soll ich deshalb, weil vermutlich gerade alles vollkommen richtig läuft.

Und es war ja nun nicht so, dass die Schriftgelehrten die Katze im Sack kaufen mussten.

Sie hatten schon jede Menge Indizien, die für Jesus als Erlöser sprachen.

Und das wissen wir von Gott, dass er gnädig ist. Und liebevoll zugewandt. Es ist nicht zu erwarten, dass Gott uns eiskalt auflaufen lässt und uns vor eine Wahl stellt, bei der wir gar keine Informationen haben, die uns eine Wahl überhaupt ermöglichen.

Und der entscheidende Anteil dieser Informationen stammt aus der Bibel. Ich hoffe, ich konnte ein klein wenig vermitteln, wie viele Bibelstellen in dieser Bibelstelle stecken.

Die Schriftgelehrten mussten sich also nicht auf ihr Gefühl verlassen, denn die Gefühle können einen ganz arg an der Nase herumführen.

Die Schriftgelehrten bekamen auch keine persönliche Botschaft von Gott. Gott hat nicht nachts im Traum mit ihnen geredet. Da wären den Schriftgelehrten am nächsten Morgen oder drei Tage später Zweifel gekommen. Sie hätten das auch gegenüber ihren Kollegen nicht durchsetzen können.

Sondern die Überzeugungsarbeit für die Schriftgelehrten lief allein über das, worin die Schriftgelehrten Fachleute waren: Über das Wort Gottes, und zwar das gedruckte. Oder damals eben von Hand abgeschriebene, weil es noch keine Druckereien gab.

Und das waren auch keine Bibelstellen, die alle drei Wochen von irgendwem erfüllt wurden und wo man sich jetzt zwischen 200 Leuten entscheiden musste, die alle diese Bibelstellen erfüllten.

Eine solche Wiederherstellung des Tempels, wie Jesus sie hier vornahm, das kam alle 150 Jahre einmal vor, so etwas hatte noch keiner der Schriftgelehrten erlebt. Und das war völlig anders als die Tempelwiederherstellung, die König Herodes betrieb, aber es war recht ähnlich dem, was man hinten in Hesekiel über den neuen Tempel lesen kann oder was Esra und Nehemia gemacht hatten.

Dass Jesaja 35 erfüllt wurde, war das erste Mal, seitdem das geschrieben worden war. Und Jesus hatte das ja nicht nur einmal gemacht, sondern der hatte in Galiläa und am Teich Bethesta und am Teich Shiloah ja auch schon ähnliches gemacht.

Aber natürlich, einige Bibelstellen hat Jesus nicht erfüllt. Er hat sie nicht so erfüllt, wie die Schriftgelehrten sie verstanden haben. Das mit der Macht und der Herrschaft und dem Vertreiben der Gottlosen und dem Niedermachen der Sünde, das hatte Jesus nicht so gemacht, wie die Schriftgelehrten sich das vorstellten.

Teilweise hatte Jesus genau das Gegenteil gemacht: Er hatte mit den Sündern gefrühstückt, anstatt ihnen die Leviten zu lesen.

Fazit

Wenn Gott also nicht macht, was ich will, dann nützt es nichts, den Glauben pausieren zu lassen, bis Gott sein Verhalten ändert und wieder segnet, so wie ich Segen verstehe.

Es nützt nichts, wenn ich mich von Gott fernhalte, weil ich ja nicht verstehe, was das gerade soll.

Es nützt nichts, einfach zu warten, bis es irgendwie von alleine vorbeigeht.

Wenn scheinbar gerade alles daneben geht, dann hilft nur Bibel. Nicht ein Andachtsbuch, denn ein Andachtsbuch ist eine Interpretation. Das war ja das Problem der Schriftgelehrten, dass Jesus sich nicht gemäß ihrer Interpretation der Bibel verhielt. Der Maßstab ist Gottes Wort, nackt und bloß, nicht die Interpretation von wem auch immer.

Und wenn schon eine Interpretation, dann Gottes Interpretation. Es geht nicht darum, wie der Neukirchner Kalender es versteht, sondern wie Gott es gemeint hat und in diesem Moment meint.

In unserer Geschichte benutzen sowohl die Schriftgelehrten als auch Jesus die Bibel, um das, was geschieht, zu beschreiben und zu beleuchten und um das Geschehen in ein Verhältnis zu Gott zu stellen.

Das machen sie deshalb, weil das Wort Gottes das zuverlässigste ist, was wir auf dieser Welt kennen.

Das Wort Gottes ist zuverlässiger als die Planeten und die Natur. Matthäus 24,35 (ELB)

35Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber sollen nicht vergehen.

Darum hat Jesus auch dem Täufer, als der unsicher wurde und fragen ließ, ob Jesus der Verheißene ist oder ob man auf einen anderen warten soll, mit lauter biblischen Zitaten geantwortet.

Wenn es also nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle, dann ist die nächste Adresse, um das Problem zu lösen, Gottes Wort. Es gibt nichts zuverlässigeres.