Die Vollmacht des Rausschmeißens

Matthäus 18,15-18

15 Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.

16 Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde!

17 Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner!

18 Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr etwas auf der Erde bindet, wird es im Himmel gebunden sein, und wenn ihr etwas auf der Erde löst, wird es im Himmel gelöst sein.

Man sollte ja eigentlich meinen, dass es Gottes Job ist, zu bestimmen, wer in den Himmel kommt und wer nicht.Matthäus 18,15

Aber es scheint mir ein grundsätzlicher Irrtum der modernen westlichen Christenheit zu sein, dass man denkt, Gott sei der Handelnde und die Christen sind die Demütigen, die auf Gottes Handeln warten und die sich Gottes Handeln in Ergebenheit unterwerfen.

Das stimmt schon bei allen „Dein Glaube hat dich gerettet“-Aktionen nicht, und an dieser Stelle stimmt es auch nicht.

Wenn es jemanden in der Gemeinde gibt, der auf eine Art und Weise sündigt, die Gott ganz bestimmt nicht zu tolerieren bereit ist, dann wird nicht Gott einen Blitz vom Himmel schicken oder sonst irgendwie aktiv werden.

Das Einzige, was Gott machen wird, ist, dass er sich von der Gemeinde zurückziehen wird.

Nicht viel geändert

Seit dem Alten Bund hat sich in dieser Hinsicht nicht viel geändert, und die Anweisungen hier in Matthäus 18 sind im Grunde nur eine Kopie der alttestamentlichen Bestimmungen.

Ganz am Anfang der Geschichte mit seinem Volk hat Gott noch selber eingegriffen, weil die Menschen ja damals die Sünde und die Schwere der Sünde noch nicht erkennen konnten.

Aber als man davon ausgehen musste, dass die Leute genügend Anschauungsunterricht von Gott bekommen hatten, da verlagerte Gott die Verantwortung für das Beseitigen der Sünde in der Gemeinde auf eben diese Gemeinde.

Nicht definiert

Allerdings war im Alten Bund die Sünde einigermaßen treffsicher definiert. Das Gesetz beschrieb, zumindest für unsere Ohren, die einzelnen Sünden sehr genau.

(Dass das Gesetz in seiner Definition der Sünde nicht ausreichend war, zeigen die vielen Hilfsvorschriften, welche die Priester und Pharisäer im Laufe der Jahrhunderte zum Gesetz hinzugefügt haben, um für Klarheit über die Sünde und über die Auslegung der Regeln des Gesetzes zu sorgen.)

Jetzt sind wir aber im Neuen Bund, und die Definition der Sünde ist scheinbar schwieriger geworden, weil die Liebe das größte Motiv zum Handeln ist, und Liebe oder ihren Mangel kann man dem anderen nicht nachweisen.

Oder das Beispiel Habgier oder Geldliebe: wird von der Bibel eindeutig als Götzendienst und damit als Sünde gekennzeichnet. Aber ab welchem Betrag? Mit welche Motivation? Ist Franz von Assisi das Vorbild oder Bill Gates?

Man könnte also denken: aufgrund der schwieriger gewordenen Definition der Sünde übernimmt Gott das Entfernen der Sünder aus der Gemeinde jetzt wieder selber.

Aber nichts dergleichen.

Jesus formuliert diese Aufgabe der Gemeinde sogar ohne Benennung der Amtsträger, die letztlich zuständig sind. Irgendwie muss die Gemeinde selber einen Weg finden, ihre Erkenntnis und ihre Meinung durchzusetzen.

Die Vollmacht

Die Gemeinde hat mit dieser und ähnlichen Bibelstellen die Vollmacht, Menschen von der ewigen Seligkeit zu befreien.

Da fällt einem doch sofort ein, wie leicht das daneben gehen kann!

HinkelsteinKann es aber eigentlich gar nicht.

Der erste Schritt ist natürlich kritisch: Ich halte etwas für eine Sünde, was Person A macht, und sage ihr das und fordere Person A auf, es sein zu lassen. Da kann ich natürlich arg daneben liegen.

Für den zweiten Schritt brauche ich aber schon ein oder zwei Weitere, die das Verhalten von Person A ebenfalls für eine Sünde halten, die in der Gemeinde nicht sein darf. Na gut, vielleicht finde ich noch irgendwie einen ähnlichen Querkopf wie mich, der mit mir gemeinsame Sache macht.

Im dritten Schritt braucht man aber eine ganze Gemeinde, die meine Meinung teilt. Man müsste wohl mindestens eine Dreiviertelmehrheit in der Gemeinde finden, welche der Meinung ist, dass das Verhalten von Person A dem Reich Gottes schadet und Gott von der Gemeinde trennt.

Wenn die Gemeinde nahe an Gott dran ist, kann das eigentlich nicht so furchtbar daneben gehen. Dann wird das Urteil der Gemeinde richtig sein, und Person A wird sich tatsächlich eine neue ewige Heimat suchen müssen. Der Wille Gottes und der Wille der Gemeinde stimmen dann überein.

Wenn die Gemeinde sich aber weit von Gott entfernt hat (und somit sich auch Gott von der Gemeinde entfernt hat), dann haben das Wirken der Gemeinde und das Wirken Gottes ohnehin nichts mehr miteinander zu tun, und dann hört Gott auch in anderer Hinsicht nicht auf die Gläubigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Person A überhaupt nicht in dem Himmelreich drin war, aus dem man sie jetzt herauswerfen will, ist relativ hoch.

Beispiel: Wenn die katholische Kirche im Laufe der Jahrhunderte Menschen exkommuniziert hat, war das vielleicht politisch ein interessanter Vorgang. Aber Gott hat das vermutlich nicht die Bohne interessiert.

Resümee

Das schlimmste, was passieren kann, ist nicht, dass die Gemeinde jemanden aus dem Himmelreich entfernt, den Gott eigentlich drinbehalten wollte.

Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Gemeinde auf die Sünde in ihren Reihen nicht reagiert. Dann verliert nämlich die ganze Gemeinde: an Segen, an Gottes Nähe, und zum Schluss die himmlische Herrlichkeit.

Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Gemeinde ihre Vollmacht nicht nutzt.