Matthäus 23,13 – woraus die Heuchelei besteht

Das wird jetzt hier nichts Aufregendes.

Diese Bibelstelle informiert Sie nur über historische Gegebenheiten.

Einfach nur, damit Sie gebildeter werden.

Mit Ihnen und Ihrem Verhältnis zu Gott hat das nichts zu tun.

Der Text ist rein informativ.

Theoretische Bildungslektüre.

Anders geheuchelt.

Ab Vers 13 beginnt Jesus, die Schriftgelehrten und die Pharisäer ständig Heuchler zu nennen.

Dadurch entsteht nach unserem Sprachverständnis der Eindruck, dass die Pharisäer vorgeben, gläubig zu sein, weil man damit reich werden kann und einen gesellschaftlichen Status erreichen kann.

Wenn das so wäre, dann bräuchten wir für solche Erkenntnis den Jesus nicht. Denn wenn jemand den Glauben heuchelt, weil er sich Vorteile davon erhofft, dann würden wir das selber merken. Wir haben doch eine gewisse Menschenkenntnis. Wir würden Glauben, der überhaupt nicht vorhanden ist, schon mitkriegen. Unser Bauchgefühl warnt uns ja auch bei Verkäufern, die nur so tun, als wären sie von ihrer Ware überzeugt.

Nein, die Heuchelei, über die Jesus sich hier so massiv aufregt, ist eine andere.

Man darf durchaus davon ausgehen, dass die meisten Pharisäer und Schriftgelehrten diese Karriere deshalb ergriffen haben, weil es ihnen tatsächlich um den Glauben und um die Religion und um das Heilige ging.

Man zweigt nicht 10% vom Schnittlauch ab, wenn es einem im Grunde egal ist, und man durchzieht nicht das Meer und trockene Land, um nur einen einzigen Proselyten zu machen, wenn es einen eigentlich nicht interessiert. Kein Mensch siebt seinen Tee auf der Suche nach einer Mücke, wenn ihm die Gesetze des Mose eigentlich wurscht sind.

Das Problem, vor dem man stand

Die Schriftgelehrten hatten das Problem, dass sie vieles im Alten Testament nicht verstanden.

Teilweise schien sich das Reden und Handeln Gottes total zu widersprechen.

Einerseits ging es um das gelobte Land. Da wurde man erst hineingebracht, und es wurde genaustens verteilt. Dann wurde man daraus vertrieben, und nach 70 Jahren konnte man wieder zurückkehren. Und Jerusalem und Zion spielten eine absolut zentrale Rolle. Aber andererseits hieß es dann, dass das Heil für alle Völker (und damit auch für alle Länder) sei.

Einerseits war der zu erwartende Erlöser ein König, ein Herrscher, ein Sieger. Mächtig und stark und unüberwindbar. Andererseits zertrat er noch nicht einmal das geknickte Rohr (Jes 42,3), und er war ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, und sein Aussehen war abstoßend (Jes 53,2+3).

Und Jesus hat mal darauf hingewiesen: Einerseits war der Erlöser Davids Sohn, und andererseits war er Davids Herr. Letzteres konnte aber nicht sein, denn David war lange tot, aber der Erlöser noch nicht da, und dann wäre der Erlöser der Herr über einen Toten gewesen.

Einerseits war das Gesetz auf Papier oder auf anderem Material aufgeschrieben, und Usa musste sterben wegen der Kleinigkeit, dass man die Bundeslade auf einem Wagen transportiert hatte und nicht an Stangen (2.Sam 6,6+7), und der Mann, der am Sabbat Holz sammelte, wurde deswegen gesteinigt (Lev 15,32) – also das schriftliche Gesetz wurde sehr ernst genommen. Andererseits soll später das Gesetz auf die Herzen der Menschen geschrieben werden (Jer 31,33) – was macht man dann mit dem Gesetz aus Papier, und wie bekommt man das Gesetz auf die Herzen tätowiert?

Und so gab es so unglaublich viel im Alten Testament, das nicht zusammenpassen wollte oder wo man einfach nicht verstand, wie das geschehen sollte und warum das so war und nicht anders. Man wusste einfach nicht, was man mit diesen Bibelstellen machen sollte. Da wurde dann Gnade für irgendwelche Leute versprochen, welche nach dem Gesetz Sünder und Götzendiener waren.

Erst sollte man die Kanaaniter aus dem gelobten Land vertreiben, und jetzt sollten plötzlich alle Völker zum Berg Zion kommen. Hätte man das nicht vorher klarmachen können, dass die Kanaaniter mit Rückfahrkarte ausreisen?

Die Lösung des Problems

Aufgrund dieses Durcheinanders entschieden sich die Schriftgelehrten – vermutlich eher unbewusst als bewusst – sich an die Bibelstellen zu halten, die klar und eindeutig waren.

Und das war das Gesetz.

Die Vorschriften des Gesetzes waren einigermaßen eindeutig und verständlich. Wenn man kein Holz sammeln durfte, dann war klar, worum es ging; und wenn man eine Kuh mit bestimmten Merkmalen für das Opfern verwenden sollte, dann war die Anweisung soweit nachvollziehbar und damit durchführbar.

Und also hielten die Schriftgelehrten das Gesetz penibel ein, und den komplizierten Rest ließen sie weg.

Und sie sagten: Wir dienen Gott, indem wir das Gesetz halten. Das muss reichen. Wir wissen nicht, wie wir mit dem anderen Zeugs Gott dienen sollen. Das ist alles so unverständlich und unlogisch, das lassen wir weg.

Bei Jesus hört sich das dann so an: Matthäus 23,23–24

23Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Dill und den Kümmel und habt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseitegelassen: das Recht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen.

24Ihr blinden Führer, die ihr die Mücke seiht, das Kamel aber verschluckt!

Soweit also die Erklärung, woraus die Heuchelei der Pharisäer und Schriftgelehrten bestand:

Die Heuchelei bestand daraus, dass diese Leute sagten, sie dienen Gott; aber in Wahrheit haben sie die Hälfte des Gottesdienstes weggelassen.

Zweifellos aus nachvollziehbaren Gründen:

Sie konnten mit der zweiten Hälfte einfach nichts anfangen.

Und wir mögen das vielleicht für verzeihlich halten, wenn jemand einen Teil von Gottes Willen nicht versteht und ihn dann einfach weglässt.

Aber Jesus führt gegen diese Leute die brutalste Rede, die von Jesus überliefert ist.

Ist ja nur historisch

Nun ist dieser Text der heiligen Schrift ja nur eine historische Information.

Die Leser sollen darüber informiert werden, wie die Zustände damals waren, und warum Jesus kommen und eingreifen musste.

Aber mit heutigen Menschen hat das überhaupt nichts zu tun, und darum ist dies kein bedeutsamer Text.

... ... ...

Es sei denn, es gäbe Christen, die lesen Johannes 14,13–14

13Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, damit der Vater verherrlicht wird im Sohn.

14Wenn ihr mich etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.

Und die merken dann, dass das mit ihrem Leben irgendwie nichts zu tun hat.

Das funktioniert ja gar nicht.

Das stimmt mit der Realität dieser Christen nicht überein.

Irgendetwas läuft da schief. Entweder hat Jesus das nicht wörtlich gemeint, oder das ist nur eine Metapher für irgendwas anderes, oder man muss irgendwelche Umdeutungsversuche anstellen, was aber auch nichts nützt, denn bei Matthäus steht es auch: Matthäus 18,19–20

19Wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen, irgendeine Sache zu erbitten, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist.

Wenn es solche Christen geben würde, die mit dieser radikalen Aussage Jesu nicht zurechtkommen – weil es ja mit ihrer Lebensrealität nichts zu tun hat - und die sich darum einfach nicht mehr darum kümmern, und die dann sagen: „Wir lassen diese Bibelstellen links liegen, weil wir nicht wissen, wie das funktionieren soll. Aber wir dienen Gott durch die Nächstenliebe, denn da wissen wir, wie es geht.“

Wir dienen Gott, indem wir die Nächstenliebe verwirklichen. Aber das mächtige Gebet, das verwirklichen wir nicht. Mit der Nächstenliebe haben wir Gott genug gedient.

Also wenn es solche Christen gäbe: Für die wäre dann diese Bibelstelle mit den Heuchlern und dem Kümmel.

Gott liebt alle Menschen

Sollte es Christen geben, die davon ausgehen, dass Gott allmächtig ist, und dass Gott alle Menschen liebt, und die dann feststellen, dass Gott den Menschen im Holocaust nicht geholfen hat und die Opfer des Vietnamkrieges allein gelassen hat und sich um die Opfer der stalinistischen Säuberungen nicht gekümmert hat und aktuell (2025) in der Ukraine nichts verhindert und im Gazastreifen nicht und in Israel nicht eingreift und im Sudan untätig zusieht und sich um all die Armut und Verzweiflung in Süd- und Mittelamerika nicht kümmert und alle die Opfer der Kulturrevolution und des ersten Weltkrieges und der Atombomben –

... also Gott liebt angeblich alle diese Menschen, und er ist angeblich allmächtig, aber de facto steht er daneben und schaut zu, wie die Menschen unendlich leiden und elendig verrecken.

Und wenn diese Christen dann sagen: „Wir verstehen diesen Widerspruch nicht. Wir können nicht damit umgehen. Wir lassen das Thema jetzt einfach ruhen und tun so, als wenn es das Problem nicht gibt. Wir dienen Gott jetzt einfach mittels der Nächstenliebe, denn das verstehen wir, aber mit Gottes Handeln und Willen beschäftigen wir uns ansonsten nicht, denn damit können wir nichts anfangen.“

Wenn es solche Christen gäbe, die Gottes Haltung zu Gewalt und Ungerechtigkeit und Leiden und Ausbeutung und Verelendung nicht kommunizieren, sondern totschweigen oder irgendwelche Killerphrasen benutzen wie „man muss halt glauben“ – wenn es solche Christen gäbe, dann wäre die Bibelstelle mit den Heuchlern und dem Kümmel für sie.

Wenn es solche Christen gäbe, die glauben und verkünden, dass Gott allmächtig ist und dass Gott alle Menschen liebt, und die den offensichtlichen Widerspruch zur Wirklichkeit nicht erklären -

... von Sahra Wagenknecht oder Hillary Clinton können wir nicht erwarten, dass sie Gottes Denken und Handeln erklären. Die können es gar nicht wissen. Die einzigen, die Gottes Denken und Handeln erklären können, sind die Christen.

Und wenn die dann sagen: Wir haben die Liebe, da brauchen wir uns um die Begründung für Gottes Untätigkeit zur Zeit des Nationalsozialismus und heute in der Ukraine nicht zu kümmern: das ist den Kümmel verzehnten und so zu tun, als habe man Gott damit ausreichend gedient.

Weissagung

Paulus schreibt in 1. Korinther 14,1

1Strebt nach der Liebe; eifert aber nach den geistlichen Gaben, besonders aber, dass ihr weissagt!

Falls es Christen geben sollte, die sagen: „Den ersten Teil des Satzes: Ja. Den zweiten nicht, denn wir wissen gar nicht, was Paulus überhaupt gemeint hat. Was soll das sein: Weissagung? Wir sind doch nicht bei Harry Potter.“ Und falls diese Christen dann auf die Idee kommen, tatsächlich nach der Liebe zu streben, aber die Sache mit den geistlichen Gaben mit Schwerpunkt Weissagung links liegen zu lassen, weil sie nichts damit anfangen können und nicht verstehen, wozu man so etwas überhaupt braucht – so zu tun, als würde es reichen, das Irdische zu tun (also die praktische Nächstenliebe) und das Übernatürliche nicht zu tun, dann wäre das wie den Kümmel verzehnten und die andere Hälfte zu ignorieren.

Ende

Die Pharisäer damals waren im indirekten Dienst an Gott, also in der Gnade und Barmherzigkeit gegenüber den Menschen, schlecht. Aber im direkten Dienst gegenüber Gott waren sie gut. Gott hat seinen Kümmel immer bekommen.

Sollte es heutzutage Gläubige geben, bei denen es genau umgekehrt ist – die im indirekten Dienst an Gott gut sind, die also Gnade und Barmherzigkeit engagiert betreiben – denen der direkte Umgang mit Gott und seiner Kraft aber ziemlich fremd ist – dann ist man auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Aber vom Pferd zu fallen ist auf beiden Seiten schlecht.

Es steht beides gleichberechtigt in der Bibel: Der indirekte Umgang mit Gott, bei dem man an den anderen Menschen handelt, und der direkte Umgang mit Gott, bei dem man ohne Zwischenstation direkt mit Gott und dem Himmel handelt.

Matthäus hat diese Rede von Jesus aufgeschrieben, weil er ahnte, dass die Schriftgelehrten nicht die letzten waren, die einen einseitigen Glauben haben.