Matthäus 16,21 – der Wille Gottes als Versuchsballon

Er hätte woanders hingehen können.

Die Welt ist groß und weit, und nicht überall sind die Menschen schlecht. Alexandria ist eine schöne Stadt, und Lutetia auch.

Aber dieser Jesus muss unbedingt nach Jerusalem gehen.

Ja, er muss. Es ist nicht eine Möglichkeit von vielen. Es ist die Einzige. So sagt er das hier.

Der angreifende Gott

Gott wird immer mal wieder als so ungemein friedlich und harmlos dargestellt.

Gott, der Pazifist.

Aber Gott sucht hier die Konfrontation.

Er hätte die Schriftgelehrten ja auch in Ruhe lassen können. Dumm geboren, dumm geblieben, Zettel dran und draufgeschrieben: Hier ist keine Hoffnung mehr.

Aber nichts dergleichen: Gott konfrontiert die religiösen Führer mit seinem Sohn.

Mit dem personifizierten Willen Gottes.

Er bringt die Schriftgelehrten dazu, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufeln.

Es ist nicht nur so, dass Gott sich nicht scheut, den Leuten eine Falle zu stellen: Nein, er stellt das als unvermeidbar hin. Jesus muss nach Jerusalem gehen und dort (scheinbar) gegen die religiöse Obrigkeit verlieren.

Immer die gleiche Zielgruppe

Und wie schon gesagt: Jesus wird nicht nach Rom geschickt, um die Menschen dort mit ihrem Götzendienst zu konfrontieren.

Sondern der wird zu den Gläubigen geschickt.

Wen Gott hart ran nimmt, das sind die Gläubigen, nicht die Atheisten oder die Götzenanbeter.

Und Sie dachten, Sie sind durch und fertig und auf der sicheren Seite?

Wenn Sie sich tatsächlich für gläubig und heilig halten, dann gehen Sie mal davon aus, dass Gott immer wieder jemanden oder etwas zu Ihnen schicken wird, um zu prüfen, ob Sie tatsächlich bereit sind, den Willen Gottes zu tun.

Oder ob Sie einfach nur erlernte biblische Regeln befolgen und sich an leeren Ritualen ergötzen.

Zur Vermeidung von Religion

Es geht immer um den Willen Gottes.

Gut, den Satz haben Sie vermutlich schon einmal irgendwo gehört.

Was man aber verstehen muss: Der Wille Gottes ist immer situationsabhängig, immer einzigartig, immer individuell.

Es gibt letztlich keinen Willen Gottes, den Sie aus einem Buch oder einem anderen geschriebenen Text ableiten können.

(Jetzt kommt bestimmt irgendein Klugschwätzer um die Ecke und sagt: „Der Wille Gottes ist die Liebe.“ Sagen Sie den Klugschwätzer, er soll sein Gelaber für sich behalten. Die Aussage „der Wille Gottes ist die Liebe“ ist eine für den praktischen Gebrauch völlig unbrauchbare Zusammenfassung. Denn hier, in dieser Bibelstelle, war es der Wille Gottes, dass ein Justizmord geschieht. Wäre man jetzt auch nicht selbst drauf gekommen, und hätte man auch nicht von der „Liebe“ her ableiten können.)

Wenn es aber mal wieder passiert ist, dass man den Willen Gottes in ein System gegossen hat und Gott somit keine Person mehr ist, sondern nur noch eine Systemkomponente ...

Wenn es mal wieder passiert ist, dass aus dem Willen Gottes ein Gesetz geworden ist, welches für ähnliche Situationen ähnliche Regeln vorschreibt ...

Wenn man den Willen Gottes für linear, berechenbar und vorhersagbar hält ...

... dann sagt Gott dem Abraham, dass er seinen Sohn opfern soll. Was ja nun völlig widersinnig war.

... dann schickt Gott nach wunderbarer Heilung eine heidnische Gesandtschaft zu Hiskia, um zu prüfen, ob Hiskia sich des Wunders würdig erweist (2.Chr 32,31).

... dann lässt Gott ein Tuch vom Himmel herab mit Delikatessen, und Gott widerspricht seinem eigenen Gesetz, indem er diese Dinge für rein erklärt (Apg 10,15).

Auch die Israeliten wurden so geprüft, ob sie tatsächlich den Willen Gottes tun wollten: Deuteronomium 8,2

2Und du sollst an den ganzen Weg denken, den der HERR, dein Gott, dich diese vierzig Jahre in der Wüste hat wandern lassen, um dich zu demütigen, um dich auf die Probe zu stellen und um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.

Und von Hiob kennt man so eine Prüfung ja auch.

Geprüfte Schriftgelehrte.

Jetzt werden nun also die Schriftgelehrten geprüft, ob sie bereit sind, den wirklichen Willen Gottes zu akzeptieren.

Dazu schickt Gott seinen Sohn nach Jerusalem.

Das gehört auch zu Gottes Gerechtigkeit. Denn Gott kann die Schriftgelehrten nicht verwerfen, und er kann ihnen das Reich Gottes nicht wegnehmen, wenn er keinen Beweis hat.

Gott ist zwar sehr klug, und er könnte sagen: Ich weiß ohnehin, dass ihr meinen Willen nicht tun wollt, also verurteile ich euch aufgrund dieses meines Vorauswissens.

Sachlich wäre das wohl angemessen, aber gerecht im Sinne eines Urteils, das auf Beweisen beruht, wäre es nicht.

Und sollten Sie jetzt immer noch glauben, Gott würde nicht gelegentlich prüfen, ob Sie seinen tatsächlichen Willen tun wollen anstelle von irgendwelchen Regeln, Gesetzen und Ritualen – Gott ist gerecht, und wenn es für Ihre Ergebenheit in seinen Willen keinen Beweis gibt, dann haben Sie schlechte Karten.

Sicher: Das Angebot der Kindschaft und der Vergebung bekommen Sie aus Gnade. Da brauchen Sie keinen Beweis zu bringen. Auch Israel und damit die Schriftgelehrten haben dieses Angebot zu ihrer Zeit aus Gnade bekommen.

Aber wenn Sie anschließend den Willen Gottes nach Ihrem eigenen Willen definieren, dann bin ich froh, dass ich nicht Sie bin.

Seien Sie also wachsam. Es könnte sein, dass Gott jemanden schickt. Und aktuell nicht nach Jerusalem, sondern zu Ihnen.

Wäre nicht das erste Mal.