Matthäus 9,2-8 Die Verschachtelung der Komplexität

Wenn Sie diese Geschichte von dem Gelähmten und seinen Freunden verstanden haben, haben Sie sie vermutlich nicht verstanden.

Die Geschichte von dem Gelähmten ist nämlich unglaublich verschachtelt. Unter anderem deshalb, weil Matthäus für Juden schreibt und auf jüdische Einwände eingeht und dazu eben jüdische Gedankengänge voraussetzt.

1. Rechteinhaber und Rechte

Die Freunde des Gelähmten gingen davon aus, dass sie ein Recht hätten, die Bitte um Heilung vorzubringen und dass der Gelähmte als Mitglied des Reiches Gottes ein Recht auf Heilung hat.

Der Gelähmte ging davon aus, dass seine Sünden (die gar nicht besonders groß gewesen sein müssen) dieses Recht verhindern. Darum muss Jesus ihm extra Mut zusprechen und ihm sagen, dass er das Recht auf Heilung eben doch hat, weil die Sünden nicht mehr im Wege stehen.

Die Schriftgelehrten gingen davon aus, dass nur Gott im Himmel das Recht hat, eine letztgültige Aussage über die Vergebung oder Nichtvergebung der Sünden zu machen. Damit war das, was Jesus hier machte, in ihren Augen eine Majestätsbeleidigung Gottes.

Jesus beweist, dass er das Recht hat, die Vergebung der Sünden definitiv festzulegen, indem er eine Heilung ankündigt. Die Heilung ist somit kein Zufall und frei für Interpretationen, sondern sie beweist die vergebenen Sünden und somit Jesu Recht.

Das Volk freut sich am Ende – nicht über die Heilung, sondern über das Recht. Über die Vollmacht (eine Vollmacht ist immer ein Recht). Der Mensch auf der Erde kann das Recht bekommen, im Namen Gottes zu handeln. Also so zu handeln, als wäre er selbst Gott. Die gleiche Vollmacht meint Jesus, wenn er immer erzählt, die Jünger werden irgendwas „in seinem Namen“ tun.

2. Der höchste Wert

Gehorsam gegenüber dem Gesetz war im Alten Testament der höchste Wert. Das gilt auch dann, wenn wir von den Propheten gelegentlich hören, dass Barmherzigkeit mehr zählt als Schlachtopfer.

Da aber kein Mensch in der Lage ist, dem Gesetz vollkommen zu gehorchen, ist der Mensch praktisch zur Sünde verdammt und damit vom Zugang zu Gott ausgeschlossen.

Mit Jesus kommt nun eine Revolution der höchsten Werte.

Denn die höchsten Werte sind seit Jesus Vertrauen zu Gott und Liebe.

Wenn Gehorsam aber zweitrangig wird, wird natürlich auch die Sünde, die durch Ungehorsam entsteht, zweitrangig.

Es wäre aber ein Unding, wenn etwas zweitrangiges etwas erstrangiges behindert. Wenn also die Sünde den Glauben verhindert, oder wenn die Sünde die Funktion des Glaubens verhindert, nämlich dass Gott dem Glaubenden den Himmel aufschließt. Genau dieses ist aber bei dem Gelähmten der Fall: Er glaubt nicht und kann den Segen des Glaubens nicht erhalten, weil scheinbar die Sünde im Wege steht. Also beseitigt Jesus das Zweitrangige, damit das Erstrangige gedeihen kann.

3. Unabsehbare Konsequenzen

Die Johannesjünger (Verse 14-17) und die Pharisäer (hier und bei der anschließenden Berufung des Zöllners) waren nicht so sehr gegen die Gnade, weil sie hartherzige und böse Menschen waren.

Sondern sie waren gegen die Gnade, weil das Verhältnis zu Gott durch die Gnade völlig unvorstellbar wurde.

Die Sünde war bisher das Einzige, was den Menschen von Gott trennt. Wenn die Sünde jetzt zuverlässig und nachweisbar weg war – und die Pharisäer gingen davon aus, dass diese Nachweisbarkeit unmöglich war: Der Mensch konnte hier auf der Erde niemals wissen, wie sein Sündenkonto bei Gott aussah – aber wenn die Sünde nachweisbar weg war, dann gab es nichts mehr zwischen Gott und den Menschen. Dann war da nichts mehr dazwischen. Dann konnte der Mensch sich Gott nahen äh … also … also der Mensch kam dann so nah an Gott ran wie an Tante Gertrud.

Solange es die Sünde gab, war der Umgang mit Gott ordentlich geregelt. Es gab eine Liturgie, eine Sprache, einen Lebensstil, die im Umgang mit Gott richtig waren und den gültigen Regeln entsprachen.

Wenn es aber keine Regulierung mehr gäbe, sondern wenn jeder so nah an Gott ran könnte und das jederzeit und überall – wenn damit aber natürlich auch jeder jederzeit in den Himmel reinlatschen könnte – wenn also die Grenze zwischen natürlich und übernatürlich nicht mehr bestände, weil der Grenzzaun „Sünde“ weg ist – dann könnten plötzlich Gelähmte rumlaufen. Dann gäbe es keine Sicherheit mehr außer Gott selber. Dann wäre alles möglich.

Also allein der Gedanke an solche Zustände tut schon weh.

Denn dann hätte der Mensch ja auch Zugriff auf die himmlischen Güter. Er könnte die himmlischen Güter benutzen, er könnte also handeln wie Gott. Womit wir wieder beim ersten Punkt wären.

4. Es kommt noch schlimmer

Wenn Sie jetzt noch bedenken, dass ein Mensch für einen anderen Menschen den Himmel aufschließen kann – wenn also die Vollmacht über die Himmelspforte auf den Menschen übergegangen ist –

sagt Jesus ja zu Petrus in Matthäus 16,19, dass Jesus dem Petrus den Schlüssel zum Himmelreich geben will –

  • und das passiert ja letztlich schon hier, als die Träger, die den Gelähmten bringen, mit ihrem Glauben die Zuwendung Jesu in Richtung des Kranken erzwingen – also die Träger bestimmen mit ihrem Glauben, wer hier geheilt wird -

und wenn zwei sich einig werden, etwas zu bitten, kann Gott es ihnen nicht mehr verweigern … und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich euch geben …

Die Menschen werden also letztlich wie Gott. Steht schon in Psalm 82,6 und wird von Jesus auch entsprechend zitiert.

Wissen Sie was?

Werden Sie ordentlich katholisch oder gut evangelisch. Ist einfacher. Da brauchen Sie sich mit den unendlichen Möglichkeiten, die mit Jesus zu uns gekommen sind, nicht herumzuschlagen.

Man kennt die dort nämlich nicht.