1.Korinther 3,11 – bewegliches Fundament
Sie haben vermutlich das Versagen des Paulus längst erkannt.
Der Mann hatte keine Ahnung von erdbebensicherer Bauweise.
Es wäre alles gut gewesen, hätte er geschrieben, dass das Fundament der Gemeinde die Lehre von Jesus Christus ist.
Dann hätte es keine Probleme gegeben, und man wüsste, wo man dran ist.
Oder wenn er geschrieben hätte, das Fundament der Gemeinde sei das Evangelium.
Für Paulus hatte der Begriff „Evangelium“ zwar noch eine andere Bedeutung, aber für uns ist das heute ein fester Begriff. Wir wissen genau, was damit gemeint ist.
Und das Evangelium verändert sich auch nicht. Da haben wir ein solides Fundament für Jahrhunderte.
Vor allem aber für unser ganzes (langes) Leben.
Der Fehler
Dummerweise hat Paulus aber geschrieben: 1. Korinther 3,11
11Denn einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Nein, das Fundament der Gemeinde ist nicht die Lehre von dem Typ.
Oder das Evangelium von dem Kerl.
Das Fundament ist diese Person selbst.
Und die lebt. Weil: ist auferstanden.
Das Schöne
Lehren sind schön. Die ändern sich nicht. Einmal festgelegt, sind die haltbarer als Beton.
Aber lebendige Wesen?
In diesem Moment ist Ihnen sicher eingefallen Hebräer 13,8
8Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.
Ha! Also doch Beton!
Nun hat ja niemand bezweifelt, dass die auferweckte Person seit Jahrtausenden die Selbe ist.
Kein Mensch hat behauptet, dass im Himmel turnusmäßig Wahlen abgehalten werden, und der aktuelle auferweckte Sohn Gottes sei Achmed Faisal oder Jerôme Departieu.
Natürlich haben wir es seit Jahrtausenden mit derselben Person zu tun.
Aber eben: mit einer Person.
Nicht mit einer Lehre, nicht mit einer Doktrin, nicht mit einer Ideologie, und auch nicht mit einem Verhaltenskodex.
Das Problem
Das Problem mit Personen ist, dass sie anpassungsfähig sind.
Dass sie situationsbezogen ihre Meinung ändern können.
Dass sie 100 verschiedene Arten haben können, um ein Problem zu lösen oder auf eine Situation zu reagieren.
Bei Personen kann man natürlich vorher raten, wie sie wohl reagieren werden. Und je besser man eine Person kennt, desto zuverlässiger kann man raten.
Aber man kann auch völlig daneben liegen.
Personen sind letztlich nicht berechenbar.
Insbesondere dann nicht, wenn sie allmächtig sind.
Denn die Möglichkeiten Ihres Ehepartners sind begrenzt.
Klar: wenn es gut läuft, hat der auch 10 verschiedene Möglichkeiten, um auf ein Ereignis zu reagieren.
Aber er ist an die irdischen Gegebenheiten gebunden. Er kann nicht in der Vergangenheit handeln, er kann nicht irgendwelche Menschen in Japan steuern, er hat keinen Einfluss auf das Wetter, auf Krankheitserreger und die deutsche Bahn.
Jesus Christus hat unendliche Möglichkeiten. Sicher, sie sind eingeschränkt, weil ihm die bösen Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Aber letztlich muss man sagen: Während Tante Gertrud schnell an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stößt, tut der auferstandene Jesus das nie.
Und die Schwäche unserer Gemeinden beruht eben darauf, dass wir aufgrund von Lehre und Moral die Möglichkeiten Gottes von vornherein festlegen.
Wir sagen: Wenn jemand schwulen Sex hat, dann hat Gott nur eine Möglichkeit, darauf zu reagieren.
Ach ja?
Wir sagen: Wenn jemand illegale Drogen nimmt oder sogar damit handelt, dann hat Gott eine einzige Meinung dazu, und die kennen wir.
Natürlich. Schlau wie wir sind.
Die falsche Hoffnung
Und so haben wir eine Lehre über die Moral. Diese Lehre erklärt, wie Gott zu bestimmten moralischen Fragen steht.
Zu all diesen sexuellen Fragen. Zur Sklaverei. Zur Demokratie. Zum Kriegsdienst. Zum Umgang mit Kindern. Zur Bewahrung der Schöpfung. Zu Alkohol und Drogen. Zur Benutzung bestimmter Wörter.
Und weil wir nicht davon ausgehen, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die ihre Meinung ändern kann, darum meinen wir, dass die Haltung Gottes zu diesen moralischen Fragen seit Adam und Eva unverändert ist.
Und darum haben wir so viele Probleme mit der Bibel, weil wir die moralischen Aussagen der Autoren von vor 2000 oder 3000 Jahren noch immer für verbindlich halten: Die Frau schweige in der Gemeinde und trage ein Kopftuch. Eine erneute Heirat nach einer Scheidung ist schwere Sünde.
Wir hofften, dass die Grundlage unserer Gemeinde ein Moralkodex sei, und wenn wir den einhalten, sind wir auf der sicheren Seite.
Aber, sagt Paulus, die Grundlage ist eine Person.
Eine allmächtige Person. Für die es vermutlich wichtigere Dinge gibt als Moral.
Die Abhängigkeit
Wir sind als Gemeinde abhängig von einer Person.
Nicht von einer moralischen Lehre.
Diese Abhängigkeit kann natürlich nur zur Wirkung kommen, wenn man auch mit der Person kommuniziert.
Die These von der „Abhängigkeit von einer Person“ ist dann ein Witz, wenn man überhaupt nicht hören kann, was diese Person aktuell sagt.
Darum machen die Christen dann oft daraus: Ich lese in der Bibel über diese Person und was die so gesagt und gedacht hat, und das ist dann meine Abhängigkeit von Jesus Christus.
Naja.
Paulus hat nicht gelesen, sondern gehört, und Hananias auch. Simeon hat gehört und Petrus und die Typen auf dem Berg der Verklärung und viele andere.
Und es ist wohl etwas gewagt, aus Jesu „meine Schafe hören meine Stimme“ zu machen: Die Schafe lesen, was ich gesagt habe.
(Spoiler: Jesus ist extra dafür gestorben und auferstanden, damit wir eine Nähe zu Gott haben können, wie sie vor dem Jahr 0 niemand haben konnte. Und da sollen wir jetzt weniger hören können als David?)
Zusammenfassung der Folgerungen von Paulus‘ elendiger Formulierung
Wenn tatsächlich eine immer noch lebendige Person das Fundament der Gemeinde ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass das Fundament eine gewisse Beweglichkeit hat.
Das heißt nun sicher nicht, dass der grundsätzliche Wille Gottes, wie er seit Anfang der Offenbarungsgeschichte verkündet wird, mit der Zeit veränderbar wird.
Die Liebe wird nicht abgeschafft, die Freiheit bleibt zentral, an der Machtfrage ändert sich nichts. Alles das, was Gott beschreibt, bleibt unveränderlich, denn Gott selber (oder Jesus selber) verändert sich ja nicht.
Was sich aber verändern kann, ist der Wille Gottes in der jeweiligen Situation.
Wobei das etwas ist, was wir durch die ganze Bibel sehen und was den Auslegern immer wieder Schwierigkeiten gemacht hat: Dass Gott einmal so entscheidet und das nächste Mal ganz anders.
Diese Erfahrung hört mit dem Ende der biblischen Aufzeichnung nicht auf.
Damit müssen wir heute noch leben.
Aber das ist auch das Schöne: Dass wir nicht von einer herzlosen Lehre und einer unbeugsamen Doktrin abhängig sind, sondern von einer ewigen Person voller Licht und Liebe.
Sicher, das sorgt auch für Überraschungen, die uns ein feststehendes Gesetz nicht gebracht hätte.
Trinken wir also darauf, dass unsere Zukunft noch nicht feststeht, sondern offen ist.
Der Wille Gottes ist in manchen Dingen erstaunlich beweglich.