Römer 1,17 Luthers Verständnis verstehen

Da ist mir doch wieder ein Artikel über Martin Luther in die Finger geraten.

Aus einer Jugendzeitschrift.

Und darin stand, dass Luther die Gerechtigkeit Gottes in diesem Vers relativ zum Kotzen fand.

Man hatte den Vers dort sachlich richtig so zusammengefasst:

„Im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart.“

Wobei Luther mir damals schon etwas voraus hatte.

Ich hätte nämlich schon gar nicht gewusst, was „die Gerechtigkeit Gottes“ überhaupt sein soll.

Die ja durch das Evangelium sichtbar werden soll.

Keine horizontale Gerechtigkeit

Wir kennen Gerechtigkeit in unserem Sprachgebrauch als Ausgleich zwischen zwei Parteien mit Rechten.

Wenn ich von Ihnen einen Toaster kaufe, erhalten Sie dafür das entsprechende Geld.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit, das verstehen wir unter Gerechtigkeit.

Das ist eine horizontale Gerechtigkeit zwischen zwei Menschen (oder anderen Parteien) mit ähnlichen Rechten.

Gottes Gerechtigkeit besteht aber darin, dass er das Böse beseitigt.

Das bedeutet, dass Gott Gerechtigkeit darüber definiert wird, dass Gott der Richter ist.

Es handelt sich also nicht um eine horizontale Gerechtigkeit, sondern um eine vertikale.

Einer ist oben (der Richter), und einer ist untergeordnet und unterworfen (das Böse).

Europäische Richter

Römer 1,17 LutherNun ist das teilweise auch die Aufgabe europäischer Richter, das Böse zu beseitigen.

In einem Scheidungsverfahren wird z.B. versucht, zwischen den beiden Parteien den Streit über gewisse Besitztümer und Rechte zu beseitigen. Das Böse, das zwischen den beiden ist, soll beseitigt werden.

Auch in vielen anderen Zivilverfahren geht es um die Beseitigung des Bösen zwischen den Beteiligten.

In Strafverfahren haben wir allerdings in der Regel das, was der Name schon sagt: Strafe. Es gibt dann in unseren Augen eine gerechte Strafe.

Das Prinzip „Strafe“ ist dem Alten Testament und dem Gesetz des Mose aber völlig unbekannt.

Es gibt im Gesetz des Mose auch kein Gefängnis und somit keine Freiheitsstrafe.

Das Gesetz des Mose kennt nur Ausgleich.

„Ausgleich“ heißt auf Frommdeutsch „Sühne“.

(Die Stockschläge von 5.Mose 25,2 sind nur für den Fall, wo ein Ausgleich nicht möglich ist – z.B. bei Beleidigung oder übler Nachrede. Es geschieht ja kein tatsächlicher Ausgleich, wenn das Urteil auf „Zurückbeleidigung“ lautet.)

Sollten Sie also in Ihrem Kopf abgespeichert haben, „Sühne“ sei so etwas wie Strafe, dann drücken Sie bitte die Delete-Taste. Das Alte Testament kennt keine Strafe: keine Freiheitsstrafe, keine Bußgelder, keine Sozialstunden, keine Verbannung.

Sondern wer etwas gestohlen hatte, musste es mit einem gewissen Aufschlag ersetzen, und wer einen Schaden angerichtet hatte, musste ihn wieder gut machen.

Wo eine Wiedergutmachung nicht möglich war (z.B. beim Ausschlagen eines Auges), kam die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben“ (3.Mose 24,20) zum Zuge. Der Ausgleich war dann ein negativer Ausgleich: Dann hatten eben beide Beteiligten ein Auge weniger.

Wenn Gott der Gegner ist.

Aber was, wenn man sich nicht an einem Menschen oder seinem Eigentum vergangen hatte, sondern an Gott oder an Gottes Eigentum?

  • Wenn man Unfrieden in Gottes Volk gestiftet hatte und damit Gottes Volk teilweise ruiniert hatte?

  • Wenn man Gottes heiliges Land unheilig gemacht hatte?

  • Wenn man Gottes Rechte nicht beachtet hatte?

  • Wenn man die Regeln, die Gott bezüglich der Beziehung zu ihm selbst aufgestellt hatte, ignoriert hatte? (Diebstahl ist auch nur die Missachtung einer Regel, die Gott für die Beziehung zwischen Menschen aufgestellt hat.)

Auch in einem solchen Fall galt die Regel, dass das Böse durch einen Ausgleich beseitigt werden musste.

Gott ist sehr langmütig, und er erträgt manches, aber das Böse kann er, der absolut gut ist und der sich das absolut Gute auf die Fahne geschrieben hat, niemals in überhaupt keiner Form dulden.

Die Beseitigung des Bösen, das jetzt zwischen Gott und Menschen geraten ist, ist folglich zwingend notwendig.

Damit ist aber ein Ausgleich erforderlich (also Sühne), denn er ist die einzige Art, wie das Böse beseitigt werden kann.

Es wird einem bei längerem Nachdenken aber aufgehen, dass zwischen Gott und Menschen ein eins zu eins Ausgleich nicht möglich ist.

Die Forderungen Gottes sind so groß, dass man sie ohnehin kaum erfüllen kann. Aber wenn man jetzt einen Tag in Rückstand geraten ist, weil man Gott gestern nicht die Ehre gegeben hat, die ihm zusteht, dann kann man ihm heute nicht doppelte Ehre geben, denn der heutige Tag reicht ja kaum, um Gott die normale Ehre zu geben, die ihm heute zustände. Man kann nicht heute die Ehre Gottes doppeln, um die von gestern nachzureichen. Der Tag hat nicht genug Stunden und der Mensch nicht genug Ehrenergie, um so etwas zu stemmen.

Für einen solchen Fall, dass ein Ausgleich gegenüber Gott nicht möglich ist, wurden die Opfer erfunden.

Gott hat die Regel geschaffen, dass er die Opfer im Tempel als Ausgleich zwischen sich selbst und dem Menschen akzeptiert.

Wobei es Vergehen gegenüber Gott gab, die waren nicht ausgleichsfähig. Wer z.B. Gott fluchte, der musste sterben. So ein großes Opfer gab es nicht, dass das auf diese Weise entstandene Böse zwischen Gott und Mensch hätte beseitigen können.

Es reicht nicht

Die Opfer im Tempel genügten als Ausgleich, so dass Gott dem Menschen nicht das Leben nehmen musste oder sich ganz und gar von seinem Volk trennen musste.

Aber diese Opfer reichten nicht, um tatsächlich alles Böse zwischen Gott und den Menschen zu beseitigen.

Gott konnte auf diese Weise zwar mit seinem Volk in einem Land wohnen, aber eine wirkliche Nähe war nicht möglich.

Darum konnten die Gläubigen des Alten Bundes auch nicht „in den Himmel kommen“. Da wären sie Gott ja ganz nah gewesen.

Es war kein ausreichender Ausgleich entstanden; das Böse war durch die Opfer gemildert, aber nicht beseitigt.

Nebenbemerkung

Im Volk Israel wurde das Böse beseitigt, indem das Gesetz gehalten wurde.

Das Gesetz war die Beschreibung, wie die Gerechtigkeit Gottes real wird. Wie das Unrecht beseitigt wird.

Oder, um Römer 1,17 an dieser Stelle anzupassen: Das Gesetz offenbart die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben zu Werken.

Darum gab es zur Zeit Jesu viele Gläubige, die davon ausgingen, dass wenn nur ein einziges Mal – an einem einzigen Tag – der ein Sabbat hätte sein müssen – das Gesetz komplett eingehalten würden, dann würde an diesem Tag der Messias kommen und das neue Reich entstehen. Denn dann wäre innerhalb von Israel der vollkommene Ausgleich geschaffen, es wäre dann alles Böse vernichtet, und somit wäre die Bahn frei für die Fülle Gottes in seinem Volk.

Luthers Problem

Und da war Luthers Problem: Dass durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes sichtbar würde.

Wissen sie noch? Gottes Gerechtigkeit besteht darin, dass er alles Böse beseitigt. Denn er handelt als Richter.

Damit war Luther aber verloren.

Denn mit Jesus gab es zwar die Möglichkeit, einen vollständigen Ausgleich zwischen Gott und Menschen herzustellen. (Anders als im Alten Bund, da gab es noch nicht einmal diese Möglichkeit. Auch wenn viele Juden, siehe Nebenbemerkung, dieses glaubten.)

Aber Luther schaffte es nicht, gut genug zu leben, als dass dieser Ausgleich Realität werden konnte.

Wenn Gott als der Richter auftrat und seine Gerechtigkeit ausgeführt würde (also alles Böse beseitigt würde), dann fände sich in Luthers Leben jede Menge Unzureichendes, Mangelhaftes, Böses.

Dieses Problem plagte Luther so lange, bis er entdeckte, dass der Satz ja weiterging: Das Evangelium offenbart Gottes Gerechtigkeit aus Glauben zu Glauben.“

Die Beseitigung des Bösen ( = Gottes Gerechtigkeit) geschieht also nicht aus irgend einer Form von Leistung.

Den Ausgleich, der das Böse beseitigen würde, muss nicht Luther leisten.

An den Glauben glauben

Den Ausgleich, der nötig wäre, um das Böse in der Beziehung zwischen Gott und Menschen zu beseitigen, kann rein mengenmäßig (oder qualitätsmäßig) nichts von Menschen geschaffen werden.

Die Missachtung des göttlichen Willens wiegt als Böses so schwer, dass nur Gott den Ausgleich schaffen kann.

Zudem kann das Böse nicht vom Menschen beseitigt werden, weil das Böse von jemandem initiiert und „hervorgebracht“ wird, der größer und stärker ist als der Mensch. Das Böse wird also immer eine Dimension haben, für die der Mensch keinen adäquaten Ausgleich heranschaffen kann.

Während also der Ausgleich im Alten Bund durch das Opfer gebracht wurde, nämlich indem man eine Kuh ablieferte, wird der Ausgleich im Neuen Bund dadurch geschaffen, dass man Gott glaubt, dass er den Ausgleich durch den Glauben des Menschen schafft.

Diese Methode oder diese Bedingung hat aber Gott erfunden: Ich glaube an den Glauben.

Ich glaube daran, dass der Glaube den Ausgleich schafft und damit das Böse beseitigt.

Denn die Methode der Juden verlangte natürlich auch Glauben. Man hätte das Gesetz nicht gehalten, wenn man nicht geglaubt hätte, dass Gott das Gesetz gegeben hat, dass Gott den Israeliten das Land gegeben hat und dass Gott letztlich gut ist.

Nur dass der Jude gesagt hätte: Die Gerechtigkeit Gottes wird offenbar aus Glauben zu Werken.

Der Jude ging (nicht ganz zu unrecht) davon aus, dass seine Opfer und sein Gehorsam den Ausgleich mit Gott herstellten. Nur dass dieser Ausgleich eben nicht zu wirklicher Nähe zu Gott führte, sondern nur zu Gottes Wohnen im Tempel, hinter dem Vorhang.

Im Evangelium steht aber drin, dass Gott

  1. ein so großes Opfer gebracht hat, wie nur Gott es bringen konnte und wie es größer nicht hätte sein können

  2. den Großen, der das Böse in übermenschlicher Größe produziert (und damit in einer Größe, die der Mensch nicht ausgleichen kann), besiegt und entmachtet hat. Der Teufel kann Menschen zu nichts mehr verführen, was nicht auszugleichen wäre.

Und das muss man jetzt nur noch glauben.

Mehr geht ja nicht.

Man kann ja nichts mehr dazutun.

Gott hat das Wertvollste gegeben was er hatte. (Das hatte nun zufällig die Gestalt eines Menschen, ist aber nicht mit einem Menschenopfer im Götzendienst der Völker zu verwechseln, denn Jesus war ja auch Gott. Gott gab sozusagen sich selber als Ausgleich.)

In Geld umgerechnet: Gott hat 7 Trilliarden Euro als Ausgleich für das Böse gegeben, und jetzt wollen Sie im Winter jeden Tag einmal barfuß durch den Garten laufen, um ihren Teil zu diesem Ausgleich beizutragen?

Oder besonders lieb zur Nachbarin sein, damit Gott Ihnen nicht zürnt? Sie wollen 50 Cent beisteuern, um einen Ausgleich von 7 Trilliarden Euro zu erhöhen?

Was nicht reicht

RömerbriefAber man müsste eben auch glauben, dass dieser Glaube ausreicht, um den Ausgleich zwischen mir und Gott durchzuführen, so dass ich tatsächlich in eine Nähe zu Gott kommen kann, die mit nichts anderem in der Welt zu vergleichen ist und die näher nicht geht.

Nochmal ganz deutlich: Es reicht nicht, dass Sie glauben, dass Jesus Gottes Sohn war, für unsere Sünden gestorben und für den Sieg über den Teufel auferstanden ist.

Das hat Luther zu Anfang ja auch geglaubt. Er war ja, wie schon erwähnt, ein guter Katholik.

Sondern Sie müssen glauben, dass der Glaube, dass Jesus Gottes Sohn war und so weiter, dass dieser Glaube das Mittel ist, das den Abstand zwischen Ihnen und Gott auf Null reduziert.

Der Gerechte wird nicht leben, weil Jesus gestorben und auferstanden ist.

Der Gerechte wird auch nicht leben, weil er das glaubt, dass Jesus gestorben und auferstanden ist.

Sondern der Gerechte wird leben, weil er glaubt, dass das reicht, dass er das glaubt.

Zusammenhang

Von daher erklärt sich auch, warum Jesus zu seinen Lebzeiten so sehr viel Wert auf den Glauben gelegt hat.

Nur dumm, dass Glaube bei Jesus immer eine Handlung war.

  • Auf dem Wasser gehen, das war Glaube.

  • Den Feigenbaum durch einen Befehl eingehen zu lassen, das war Glaube.

  • Wieder nach Hause gehen und zu erwarten, dass das todkranke Kind dort mittlerweile wieder gesund ist, weil Jesus es ausdrücklich gesagt hat, das ist Glaube.

  • Dem Berg zu befehlen, dass er verschwinden soll, und der verschwindet dann auch, das ist Glaube.

  • Den Mantel von Jesus anfassen, obwohl der gar kein Arzt ist, und zu erwarten, dass sich dadurch Grundsätzliches ändert, das ist Glaube.

„Glaube“ war bei Jesus niemals, dass ich glaube, dass Gott mich lieb hat und dass ich in den Himmel komme. Der Satz „Seele, ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich“ ist von einem, der in der Hölle gelandet ist (Lukas 12,19).

Der Glaube daran, dass Jesus der Sohn Gottes ist, ist völlig für die Katz. Denn das glaubt der Teufel auch. (Jakobus 2,19)

Der Glaube daran, dass Jesus für meine Sünden gestorben ist, ist null und nichtig. Dass Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist, das hat der Teufel mittlerweile auch kapiert, und der kommt nicht in den Himmel, obwohl er das weiß.

Dass Jesus auferstanden ist, das weiß der Teufel besser als wir alle zusammen, denn der Teufel musste das am eigenen Leib erfahren. Für den Glauben an die Auferstehung Jesu gibt es keinen Blumentopf.

Nur die Handlung zählt

Das ist der Grund, warum wir in der Gemeinde immer wieder Lehreinheiten über das Übernatürliche machen.

Weil das Wissen darüber, dass der Ausgleich von Gott gezahlt wurde, zu nichts führt. Denn das hat Luther als guter Katholik von Anfang an gewusst.

Das Anerkennen himmlischer Fakten zählt bei Jesus nicht als Glaube.

Sondern es zählt nur, wenn man dem Glauben glaubt.

Wenn man glaubt, dass der Ausgleich tatsächlich von Gott bezahlt worden ist, und jetzt Handlungen begeht, die nur und einzig auf der Bezahlung des Ausgleichs basieren.

Handlungen, die Sie nur deshalb machen können, weil dieser Ausgleich bezahlt ist.

Handlungen, die Sie nur aus dem Grund vollbringen können, weil jetzt eine Nähe zu Gott hergestellt ist, die das Übernatürliche möglich macht.

Luthers 95 Thesen (und vieles seines sonstigen Wirkens) sind nur darauf zurückzuführen, dass er an den Glauben geglaubt hat.

Falls Sie Reißzwecken und einen Hammer brauchen, sagen Sie mir einfach Bescheid.

Oder bevorzugen Sie Klebeband?