Automatisiertes Denken

Es gibt eine Einrichtung im menschlichen Gehirn, die ist eigentlich ganz sinnvoll. Das ist das automatisierte Denken.

Dass ich nicht jedes Mal, wenn ich ins Auto einsteige, wieder überlegen muss, welches nun das Gaspedal ist und welches das Bremspedal.

Dass ich automatisch den Hausschlüssel einstecke, wenn ich aus dem Haus gehe. Dass ich da nicht mehr groß drüber nachdenken muss.

Kinder haben das noch nicht, denn das stellt sich erst mit der Zeit ein. Darum bringen uns Kinder und Jugendliche gelegentlich so an unsere Grenzen, und wir fragen, wo die nur ihren Kopf haben. Aber die haben den Kopf durchaus an der richtigen Stelle. Der Kopf ist nur noch nicht automatisiert.

Automatisiertes Denken beruht auf Erfahrungen, die wir gemacht haben. Und auf Entscheidungen, die wir aufgrund dieser Erfahrungen getroffen haben.

Oder es beruht einfach nur auf Erfahrungen, die wir oft genug gemacht haben, ohne irgendwas zu entscheiden.

Das automatische Wissen über das Gaspedal hängt an einer Erfahrung, die wir oft genug gemacht haben.

Dass ich sehr ungern zu einem Arzt gehe, der einen asiatischen oder afrikanischen Namen hat, liegt an einer einzigen Erfahrung, aufgrund derer ich eine Entscheidung getroffen habe. Die einmalige Erfahrung hieß Hassan Safari, stammte aus dem Iran und war mein Physik- und Klassenlehrer in der 10.Klasse. Nach 9 Monaten mit Herrn Safari war mir klar, dass man Wissenschaftlern aus dem Orient nicht trauen kann. Niemals. Auf keinen Fall. Für immer.

Das Problem ist jetzt, dass je älter man wird, umso mehr Erfahrungen hat man gemacht, und umso mehr Entscheidungen hat man getroffen.

Man hat Erfahrungen mit Obdachlosen gemacht. Man weiß jetzt, wie man mit denen dran ist.

Man hat sich entschieden für eine Meinung über die Atomenergie.

Und diese Meinungen über Obdachlose und Atomenergie sind ziemlich unverrückbar. Man ist in diesem Punkt nicht mehr offen.

Auch das hat natürlich seinen Sinn. Wenn man jedesmal im Leben seinen prinzipiellen Standpunkt neu bestimmen müsste, dann käme man ja nie zu etwas. Wenn man jedesmal wieder neu sein Gewissen befragen müsste, ob man diesem Obdachlosen jetzt Geld gibt oder ihm Zeit widmet oder nicht und warum und was ist die Konsequenz und was bringt es ihm und  was bringt es mir – also es ist sachgemäß, dass man im Leben solche Entscheidungen trifft, nach denen man dann konsequent handelt.

Aber das führt eben im Alter auch dazu, dass man geistig unbeweglich wird. Natürlich niemand hier im Raum, keineswegs und niemals, aber alle anderen.

Man wird im Alter geistig unbeweglich, weil man so viele Entscheidungen getroffen hat. Weil man so viele Erfahrungen gemacht hat.

Natürlich gibt es automatisiertes Denken auch in anderen Zusammenhängen. Z.B. in Gesellschaft, wo Traditionen sehr stark sind. Da hat man von Kindheit an beigebracht bekommen, wie man zu denken hat. Da ist die Automatisierung bei 17jährigen abgeschlossen.

Nun ist automatisches Denken zwar sehr praktisch im Leben, weil es mir viele kleine Entscheidungen abnimmt und das komplizierte Leben vereinfacht.

Aber wenn ich es mit Gott zu tun habe, dann ist automatisches Denken ein Fall für die Alarmsirene. Dann wird nämlich mein automatisches Denken sehr schnell zu schlichtem Ungehorsam gegenüber Gott.

Denn Gott ist in der Lage, jede Situation individuell zu betrachten. In jeder Situation die ganze Wahrheit zu sehen. Der braucht sein Leben und Denken nicht durch ausschließende Entscheidungen zu vereinfachen. Der kann mit einer komplizierten Welt umgehen.

Und wenn jetzt eine Situation da ist, in die ich verwickelt bin, und es gibt in dieser Situation einen Willen Gottes. Aber mein automatisiertes Denken kann den göttlichen Gedanken weder erkennen noch selber denken. Ich sehe in dieser Situation 2 Möglichkeiten, aber Gott hat entschieden, dass Möglichkeit Nummer 378 die Beste ist.

Ein 10jähriges Kind würde jetzt vielleicht auf die Möglichkeit Nummer 378 kommen. Aber ich habe 60 Jahre Erfahrungen, 60 Jahre Entscheidungen getroffen, in meinem Gesichtsfeld gibt es nur noch 2 Möglichkeiten.

Es gibt in der speziellen Situation, in der ich jetzt bin, eine beste Verhaltensweise. Die perfekte Lösung. Also den Willen Gottes. Aber in meinem Denken kommt diese Lösung nicht vor. Folglich kann ich sie auch nicht umsetzen. Und ebenso folglich haben also der Wille Gottes und mein Handeln nichts miteinander zu tun.

Schon im Alten Testament war dieses Problem bekannt. Und schon da kannte man eine Lösung. Ps 139,23-24

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne meine Gedanken!

24 Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg!

Ps 51,12

12 Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und erneuere in mir einen festen Geist!

Ps 143,10

10 Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott! Dein guter Geist leite mich in ebenes Land!

Aber diese Methoden sind alttestamentlich. Das war damals gut. Das ist heute zu wenig.

In all diesen Psalmen war Gott außerhalb des Menschen gedacht. Gott konnte zwar in den Menschen hineinschauen. Aber Gott und der Mensch waren getrennt. Logischerweise. Denn der Mensch war sündig, und Gott war heilig. Das ging nicht zusammen.

Im Neuen Bund haben wir die Situation, dass Gott jetzt innerhalb des Menschen existieren kann. Weil der Mensch nicht mehr sündig ist, sondern heilig.

Weil die Sünden prinzipiell und absolut vergeben sind.

Der Mensch ist ein neuer Mensch. Er ist geistlich. Er ist göttlich.

Der neue Geist in mir wird nicht mein eigener sein, der wieder beweglicher gemacht wurde.

Der neue Geist in mir wird nicht mein eigener sein, dessen Spontaneität gesteigert wurde.

Der neue Geist in mir wird ein fremder Geist sein.

Also nicht ich. Sondern ein anderer.

So wie Paulus sagt: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.

Im Alten Bund ging das nicht. Da war der Mensch per se unrein. Aber jetzt geht das.

Die Kunst ist jetzt, nicht mehr meinen eigenen automatisierten Geist nach seiner Meinung zu fragen, sondern den anderen. Den göttlichen.

Und wenn mein Geist dann zuerst denkt, es müsse nach Kleinasien gehen, und da das nicht funktioniert, denkt mein Geist, dann kann es ja nur noch nach Bithynien gehen – dann mitzukriegen, dass Gott „Griechenland“ sagt, was mir niemals in den automatisierten Sinn gekommen wäre – ja, so muss es gehen.