Ursprünglicher Zustand

Die ursprünglichen Texte der Bibel kennen keinerlei Gliederung. Es gab den "Brief an die Römer" oder "Das Buch Daniel", und nach dieser Überschrift (sofern sie überhaupt vorhanden war) kam der Text, ohne irgendwelche Zwischenüberschriften oder sonstige Einteilungen. Erschwerend kam hinzu, dass der griechische Text noch nicht einmal Leerzeichen zwischen den Wörtern kannte und auch keine Satzzeichen, es reihte sich also über viele Seiten hinweg einfach Buchstabe an Buchstabe. Und der hebräische Text kannte nur Konsonanten, keine Vokale - also nrknsnntnknvkl - so dass beim Lesen mitunter sehr Verschiedenes rauskommen konnte, je nachdem wer las.

Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer mal wieder einzelne Abschriften der Bibel, die in irgendeiner Form gegliedert waren, aber das blieben Einzelfälle. Und da die Bibel ohnehin nur von Gelehrten gelesen wurde, war das auch nicht so schlimm.

Die Masoreten

Die Masoreten waren jüdische Schreiber, die zwischen 700 und 1000 n.Chr. alttestamentliche Texte abschrieben und dabei auch gleich bearbeiteten. Diese Bearbeitung war sehr umfassend. Denn der ursprüngliche Text - der ja nur aus Konsonanten bestand und darum sehr schwer verständlich war - war über die Jahrhunderte von vielen verschiedenen Abschreibern mit zusätzlichen Zeichen versehen worden, damit er besser lesbar und leichter zu verstehen war. Allerdings hatte jeder Abschreiber was Anderes in die Texte reingeschrieben, so dass die Einheitlichkeit der Texte sehr gelitten hatte.

Die jüdische Theologie der damaligen Zeit brauchte aber unbedingt genaue, fehlerfreie Texte, um die "richtige Lehre" festlegen zu können. Also machten sich die Masoreten daran,

  • die alten Texte zu sichten
  • die Fehler, die sich über die Jahrhunderte eingeschlichen hatten, zu beseitigen
  • Vokale in den Text zu schreiben, damit klar war, welches Wort gemeint war und wie es auszusprechen war
  • Hinweise zu Aussprache, Sprachmelodie und Sprechpausen in den Text zu schreiben
  • umfangreiche Bemerkungen und Erläuterungen an den Textrand oder hinter das Ende des Textes zu schreiben
  • den Text in Sinnabschnitte zu gliedern: Leerräume zwischen Wörtern und Sätzen einzusetzen und den Text in Absätze zu gliedern
  • die Anzahl der Worte des jeweiligen Textes zu zählen und festzuhalten, um nach dem Abschreiben kontrollieren zu können, ob man irgendwo ein Wort vergessen oder zuviel abgeschrieben hatte

Damit war also zumindest schon mal eine beachtliche Vorarbeit geleistet, auch wenn es immer noch keine Einteilung in Kapitel und Verse gab.

Einteilung in Kapitel und Verse

Die heutige Einteilung der biblischen Texte in Kapitel geht auf den Erzbischof von Canterbury, Stephen Langton, zurück, der im Jahr 1206, als er noch als Magister Theologie in Paris lehrte, die verschiedenen damals gebräuchlichen Gliederungssysteme für die Bibel durch ein neues ersetzte, das sich dann allgemein durchsetzte. Eine Verseinteilung gab es damit aber immer noch nicht.

Die Einteilung in Vers stammt von dem Pariser Drucker Robert Estienne, der 1551 eine lateinische Bibel herausgab, die gänzlich in nummerierte Verse unterteilt war. Er war nicht der Erste, der so eine Einteilung vornahm, denn auch der italienische Dominikanermönch Santi Pagnini stellte 1518 eine so strukturierte Bibel her, und der französische Theologe und Philosoph Isaak Nathan hatte schon 1447 eine Ausgabe des Alten Testamentes mit nummerierten Versen versehen, weil er (wie Estienne auch) eine Konkordanz herausgeben wollte, und das geht schlecht ohne Verszählung. Aber die Methode von Robert Estienne zur Verszählung ist diejenige, die maßgeblich für unser heutiges System ist.

Mängel

Diese Strukturierung der Bibel ist nicht immer perfekt. Bereits beim ersten Kapitel der Bibel merkt man das: Es endet mitten im Schöpfungsbericht, und der letzte Rest des Berichtes steht dann im 2.Kapitel.

Auch der Kapitelumbruch zwischen Johannes 7:53 und Johannes 8:1 ist merklich ungeschickt, und es gibt noch eine Reihe anderer Stellen, an denen man sich wundert. Da die Einteilung aber nur der Orientierung dient und keine Aussagen über Sinn oder Zusammenhang des Textes macht, kann man mit den Ungereimtheiten leben.