Gottesdienst heute: Wie in Kapernaum

Vermutlich waren Sie irgendwann einmal in einem Gottesdienst. Dann haben Sie das erlebt, was man alles nicht erlebt.

Obwohl ich selbst aus dem freikirchlichen Bereich komme, gilt das, was in diesem Artikel beschrieben wird, auch für evangelische Gottesdienste. Und für Versammlungen der Mormonen oder von Jehovas Zeugen erst recht.

Beschreibung der aktuellen Gottesdienste

In den modernen Gottesdiensten werden Sonntags Lieder gesungen. Loblieder für Gott, Anbetungslieder, solche Lieder halt. Das ist völlig in Ordnung. Das haben die Menschen im alttestamentlichen Synagogengottesdienst auch gemacht. Singen von Lobliedern ist von alters her eine Art der Kommunikation mit Gott. Ich singe ihm, was ich von ihm denke.

Man hört in heutigen Gottesdiensten etwas aus dem Wort Gottes. Eine Schriftlesung oder eine Auslegung, einen Beitrag oder eine Predigt. Das ist völlig in Ordnung. Das haben die Menschen im alttestamentlichen Synagogengottesdienst auch gemacht. Man erfährt etwas von Gott, indem man etwas liest. Und indem vielleicht jemand das Gelesene auch noch erklärt.

In zeitgenössischen Gottesdiensten wird gebetet. Das ist völlig in Ordnung. Das haben die Menschen im alttestamentlichen Synagogengottesdienst auch gemacht. Die Gemeinde sagt Gott, was sie ihm sagen will.

Vielleicht haben Sie es gemerkt: Der Gottesdienst der modernen Gemeinde ist praktisch identisch mit dem jüdischen Synagogengottesdienst. Der Inhalt, der besprochen und besungen wird, ist natürlich größer, weil Jesus dazukommen ist, aber an der Wirkung und den Auswirkungen des Gottesdienstes hat sich nichts geändert.

Das Abendmahl

Natürlich kommt  an der Stelle der Einwurf: „Aber die haben das Abendmahl! Das hatten die Juden nicht!“

Das stimmt wohl, dass viele Gemeinden das Abendmahl durchführen, aber das Abendmahl ist ohne Wirkung. Das ist ja gerade der Unterschied zwischen dem Gedächtnismahl und der Eucharistie.

Eine Wirkung, die daraus besteht, dass ich ein Gefühl habe, zählt hier nicht. Wenn jemand sagt „mir bedeutet das sonntägliche Abendmahl so viel!“, dann ist das keine objektive Wirkung, sondern ein subjektives Gefühl, für das ich mich entschieden habe.

Menschliche Gefühle sind kein Maßstab für Gottes Handeln. Ob ich ergriffen oder bewegt bin, hat mit der Realität Gottes überhaupt nichts zu tun.Gottesdienst

Darum ist für diesen Vergleich zwischen dem alttestamentlichen Synagogengottesdienst und dem Gottesdienst der zeitgenössischen Gemeinde das Abendmahl zwar ein zusätzliches liturgisches Element, das stattfindet. Aber es produziert keine zusätzliche Wirkung.

Der Unterschied des Gottesdienstes

Der Synagogengottesdienst war so, wie er war, weil das Handeln Gottes und das Reden Gottes im alten Testament indirekt war. Es war mittelbar.

Die Regel war: Wenn ihr der Bibel gehorcht, dann wird Gott euch dadurch segnen, dass ihr eine gute Ernte habt.

Die Leute hielten sich dann an die Bibel, an das Gesetz, und sie hatten tatsächlich eine gute Ernte. Gott hatte also gehandelt.

Aber man konnte Gott in dieser Handlung nicht sehen, nicht nachweisen. Die Nachbarvölker hatten auch eine gute Ernte, bei denen lag es am warmen Wetter.

Gott handelte, aber er benutzte ein Mittel, nämlich die Natur. Somit hatte der Mensch Gottes Segen, kam aber mit Gott nicht in Kontakt.

Frieden

Die Regel war: Wenn ihr der Bibel gehorcht, dann wird Gott euch dadurch segnen, dass ihr in Frieden leben werdet. Und die Leute gehorchten der Bibel, und folglich hatten sie politischen Frieden.

Der Historiker, der sich das anschaut, sagt aber: „Ägypten im Süden war zu dieser Zeit schwach, Assyrien im Norden war schwach, und wenn alle deine Feinde schwach sind, lebst du natürlich in Frieden.“

Gott hatte also gehandelt, aber Gott kam in der Handlung selbst gar nicht vor. Gott war in dem ganzen Vorgang nicht zu hören und nicht zu sehen. Man wusste nur, dass Gott dahinter steckte, weil Gott das vorher angekündigt hatte.

Gott handelte, aber er benutzte ein Mittel, nämlich die Schwäche der Feinde Israels. Gott handelte, aber der Gläubige bekam davon nichts mit, er sah nur das Ergebnis. Der Gläubige bekam Gott bei der ganzen Sache nicht zu Gesicht.

Drittes Gebot

Legendär ist das Gebot: 2.Mose 20,12

12 Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit deine Tage lange währen in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt.

Man hält sich an dieses Gebot, also wird man sehr alt. Das ist ein Handeln Gottes, aber Gott ist in der ganzen Handlung nicht zu sehen. Und wenn in den Nachbarländern jemand sehr alt wird, dann waren es die guten Gene.

Gott handelt, aber er benutzt ein Mittel, nämlich gute Gene oder keine Unfälle oder alle Mörder gehen woanders hin. Gott handelt, aber der Gläubige bekommt von Gott selber nichts mit.

Das Gesetz

So ging es auch mit dem Reden Gottes.

Gott wollte den Menschen ja gelegentlich etwas sagen. Gar nicht zwangsweise etwas ermahnendes, sondern vielleicht auch etwas erfreuliches, eine Freundschaftserklärung, so etwas.

Das, was Gott den Gläubigen sagen wollte, wurde entweder auf Papier geschrieben, dann konnten die Gläubigen es lesen.

Oder Gott sagte es einem Propheten, und der sagte es dann den Gläubigen.

Das Wort Gottes war für den normalen Gläubigen ein indirektes Wort. Gott redete mittelbar; das Mittel war entweder die Bibel oder der Prophet. Der normale Gläubige bekam Gottes Stimme niemals zu hören.

Das war sinnvoll

Diese Vorgehensweise Gottes mit den Gläubigen war auch sinnvoll, denn die Sünden der Gläubigen konnten nur soweit vergeben werden, dass sie mit Gott im gleichen Land leben konnten.

Aber eine so weitgehende Heiligkeit, dass der Mensch Gott direkt gegenübertreten konnte, war nicht gegeben. Wenn der Hohepriester es dann doch einmal im Jahr machen wollte, musste er ein umfangreiches Prozedere über sich ergehen lassen, damit er einen Zustand erreichte, in dem er Gott für einen kurzen Moment begegnen konnte.

Die gesamte Religion des alten Judentums war eine mittelbare. Gott konnte immer nur an einer Zwischenstufe erkannt werden, die nicht Gott selber war. Also an der Ernte, am Frieden, am hohe Alter oder am Reden des Propheten.

Ausnahmen

Es gab bekanntermaßen im Alten Testament ein paar Ausnahmen. Da begegnete Gott den Menschen unmittelbar, ganz direkt.

Jesaja war zu Tode erschrocken, weil er dachte, er muss jetzt sterben.

Zu Mose redete Gott direkt, zuerst aus dem brennenden Dornbusch, aber dann auch zu vielen anderen Gelegenheiten.

Zu Samuel konnte Gott direkt reden, aber zu David nur manchmal. Gelegentlich musste Gott zu David auch einen Propheten schicken.

Mit Elia und Elisa konnte Gott direkt reden, und sowieso mit allen Propheten, was aber natürlich notwendig war, denn der Prophet konnte nicht sagen „so spricht der Herr“, wenn der Herr nicht vorher was gesagt hatte.

Aber verteilt auf 1500 Jahre Altes Testament waren das wirklich Ausnahmen.

Erste Zusammenfassung

Die Gottesbeziehung im Alten Testament war also eine indirekte, eine mittelbare.

Wenn man zu Gott betete, dann hörte Gott das natürlich direkt, aber die Gebetserhörung kam indirekt.

Wer Gott ein Opfer zur Vergebung der Sünden oder aus einem anderen Grund bringen wollte, musste das über einen Priester tun. Direkt und unmittelbar ging nicht.

Und das alles hing damit zusammen, dass der Mensch nicht heilig genug war. Die durch die Sündenvergebung erzeugte Heiligkeit reichte für das Leben mit Gott im gleichen Land, aber es reichte nicht für einen direkten Umgang mit Gott.

Der Alte Bund war dem Wesen nach indirekt und mittelbar, weil es nicht anders ging.

Und damit war natürlich auch der Gottesdienst immer indirekt. Selbst wenn man Gott im Tempel ein Opfer brachte, so lieferte man dieses an den Priester, nicht an Gott selbst. Und wenn die Gläubigen zu Gott beteten, sorgten die Priester mit den Rauchopfern dafür, dass die Gebete vor Gott ein Wohlgeruch waren. Die Gebete nahmen also sozusagen einen Umweg.

Darum konnte man auch das Wort Gottes im Synagogen- oder Tempelgottesdienst nur indirekt hören. Es wurde verlesen, was nach Gottes Willen aufgeschrieben worden war.

Jesus kommt

Und dann kam Jesus, und Jesus war ja auch Gott. Irgendwie. Wir sagen „Gott wurde Mensch“.

Ab diesem Moment konnte man Gott direkt begegnen, zumindest wenn man zufällig in Palästina wohnte.  

Jesus musste nicht mehr sagen „so spricht der Herr“. Jesus konnte sagen „ich aber sage euch“.

Mit Jesus sind wir im Bereich „unmittelbar und direkt“, nicht mehr bei mittelbar und indirekt. Man konnte Jesus anfassen, und man hatte sofort die göttliche Wirkung.

Aber mit Jesus hatte man natürlich einen begrenzten Gott. Er war eben Mensch und hatte physikalisch die Grenzen, die Menschen so haben. Den Chinesen half die Existenz Jesu nicht, er saß ja in Palästina.

Aber in Palästina, da konnte man Gott direkt erleben.

Nicht wieder rückwärts

Nachdem Jesus gestorben und auferweckt worden war, und als er dann den Heiligen Geist geschickt hatte, da wurde die Unmittelbarkeit und das Direkte, das während Jesu Erdenleben gegolten hatte, nicht wieder zurückgefahren auf die indirekten Möglichkeiten des Alten Testamentes.

Sondern es geschah jetzt das, was angekündigt wurde in Jeremia 31,34

34 Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.

Wenn man die Gläubigen heute fragt, wozu Jesus gekommen ist, dann kriegt man ja immer wieder zu hören, Jesus sei gekommen, um unsere Sünden zu vergeben. Aber das ist nicht wahr. Die Sünden sind zwar durch Jesu Tod vergeben, aber Jesus ist gekommen, um die Beziehung zu Gott aus der Mittelbarkeit in die Unmittelbarkeit zu ziehen.

AngeberDamit wir mit Gott direkt reden und handeln können, ist die Vergebung der Sünden zwingend notwendig. Der Heilige Geist kann nicht in uns hineinfahren, wenn in uns noch etwas ist, was Gott existenziell stört. Aber mit der Vergebung allein ist der Wille Gottes noch lange nicht getan, und der Sinn des Kommens Jesu ist damit noch lange nicht erfüllt.

Sondern der Sinn von Jesu Kommen war das Ermöglichen des direkten und unmittelbaren Kontakts zu Gott.

Und darum ist das Neue Testament nach Pfingsten voll von direkten Aktionen zwischen Gott und Menschen, von „geh jetzt mal auf jene Straße“ über „geh mal den Petrus holen“ bis hin zu Prophetie und Weissagung und Lehre in Vollmacht.

Darum wird im Gottesdienst in Antiochia eine Hungersnot vorausgesagt, die unter Kaiser Claudius auch eintraf (Apg 11,28), das Verborgene des Herzens eines zufällig hereingeschneiten Ungläubigen wird offenbar (1.Kor 14,22), es werden persönliche Schicksale bekannt gegeben (Apg 21,11; Apg 21,4) und Gott gibt bekannt, wer ausgesandt werden soll.

Der Unterschied zwischen dem alttestamentlichen Gottesdienst und dem neutestamentlichen wäre, dass man im Alten Bund indirekt etwas von Gott hört, während man im neuen Bund etwas mit Gott erlebt.

Denn im Gottesdienst des neuen Bundes sitzt Gott nicht mehr hinter einem Vorhang. Er ist, soweit die Vollmacht „in meinem Namen“ (Mt 18,20) gegeben ist, direkt anwesend. Wobei Gottes Anwesenheit insofern nicht lokalisierbar ist, als Gott durch seinen heiligen Geist sowohl in den einzelnen Gläubigen als auch in der Gemeinde, die ja Jesu Leib ist, anwesend ist.

Wenn Sie im Gottesdienst etwas von Gott hören, sollten Sie es gelegentlich auch direkt hören, nicht nur die Anweisung „Du sollst nicht stehlen“, und anschließend sind Sie darüber informiert, dass Sie sich von Eigentumsdelikten fernhalten sollen. Sie sollen (nach Jeremia 31,34) direkt von Gott gelehrt sein und nicht durch ein Lehrbuch.

Unterschied zwischen Gefühl und Erlebnis

Wenn man dieses Thema (aus dringender Notwendigkeit heraus) in der Gemeinde bespricht, kann man harten Gegenwind erwarten. Das schärfste ist, dass die Leute behaupten, sie würden Gott ja erleben. Die Veränderung des Gottesdienstes weg vom Synagogenstil sei darum gar nicht notwendig.

Tatsächlich haben diese Menschen aber Gefühle. Wenn sie den Bibeltext hören, die schönen Lieder singen oder die zu Herzen gehende Predigt hören, dann entwickeln sie Gefühle. Was ja nicht falsch ist. Wir Menschen reagieren auf alles, was uns im Leben begegnet, mit Gefühlen. Es geht überhaupt nichts anders.

Ein Blick ins Neue Testament zeigt aber, dass die Menschen in der Apostelgeschichte nicht Gefühle beschreiben, sondern wackelnde Erde und direkte, eindeutige Anweisungen von Gott. Oft bekommen wir auch den Fortgang der Geschichte erzählt, also z.B. dass die Hungersnot unter Claudius auch eintraf oder dass Kornelius tatsächlich auf Petrus wartete.

Auch wenn Paulus in seinen Briefen das Geschehen in der Gemeinde beschreibt, beschreibt er Sichtbare, Hörbares, Erlebbares. Nichts, was in meinem Inneren geschieht und was die anderen nicht mitbekommen (oder höchstens an meiner Mimik erkennen können).

Wenn Ihnen also jemand mit dem Vorwurf kommt „Du weißt doch gar nicht, wie ich Gott erlebe!“, dann können Sie durchaus antworten, dass Sie es sehr wohl wissen: Gar nicht. Wenn dieser Mensch tatsächlich etwas mit Gott erlebt und nicht nur Gefühle bezüglich Gott entwickelt, hätten Sie es mitbekommen. Im Gottesdienst übrigens deshalb, weil Gotteserlebnis in der Gemeinde nicht immer, aber oft Gruppenerlebnis ist. Was wiederum von Gruppengefühl zu unterscheiden ist. Massenhysterie kann zwar zu einem befremdlichen Ergebnis führen, aber sie ist in sich selbst nur ein Gefühl.

Zweite Zusammenfassung

Wenn unser Gottesdienst kaum vom alttestamentlichen Synagogengottesdienst zu unterscheiden ist, dann ist mit Errichtung des Neuen Bundes offenbar nicht wirklich viel passiert.

Wenn durch Jesus die Sünden nur vergeben sind, damit sie vergeben sind, war das recht viel Aufwand für ein bescheidenes Ergebnis.

Jesus ist aber nicht gekommen, damit die Gläubigen eines Tages in den Himmel kommen. Sondern er ist gekommen, um die Sehnsucht der Menschen nach tatsächlicher Nähe zu Gott zu erfüllen.

Jesus ist gekommen, um die Gemeinschaft mit Gott aus dem indirekten in ein direktes und unmittelbares System zu überführen.

Die direkte und unmittelbare Beziehung zu Gott zeigt sich aber zuallererst im Gottesdienst. Wie man in den – zugegebenermaßen spärlichen – Berichten der Apostelgeschichte und der neutestamentlichen Briefe ja auch nachlesen kann.

Somit haben die meisten unserer Gottesdienste mit dem, wofür Jesus eigentlich gekommen ist, nicht viel zu tun.