Der Kampf für weltweite Gerechtigkeit

Nachdem die beiden vorhergehenden Artikel beschrieben haben, was der Begriff "Gerechtigkeit" in der Bibel bedeutet oder auch nicht bedeutet, behandelt dieser Artikel die Frage, ob die Christen nicht zuständig sind, beim Kampf um weltweite Gerechtigkeit (und damit auch gegen den Hunger) mitzuwirken.

Ursache oder Wirkung? Symptom oder Krankheit?

Wenn wir gegen die weltweite Ungerechtigkeit, den Hunger und das Elend vorgehen wollen, ist es klug, vorher zu fragen, was die Ursache und was die Wirkung ist. Denn es würde ja nichts nützen, die Wirkung zu beseitigen, wenn die Ursache, die dieselbe Wirkung immer wieder hervorbringt, nicht beseitigt wird.

  • Ist also der Hunger die Ursache für das Böse? Werden Streit, Neid, Habsucht, Bosheit und Machtmissbrauch durch die ungerechte Verteilung von Gütern und Chancen hervorgerufen? (Wenn das so wäre, müssten diese Dinge in wohlhabenden Ländern ja in weitaus geringerem Maß vorhanden sein.)
  • Oder ist die ungerechte Verteilung von Gütern und Chancen eine Folge der Herrschaft des Bösen? Ist das Böse die Krankheit, welche die Symptome der ungerechten Verteilung hervorruft? Sind Bosheit, Streit, Neid, Habsucht und Machtmissbrauch die Ursache für die ungerechte Verteilung?
Die Bibel ist sehr deutlich in der Aussage, dass die persönliche Nähe zu Gott die existentiellen Sorgen im Bereich Ernährung, Kleidung, Unterkunft überflüssig macht.
Glaube beseitigt Hunger.
Meint natürlich: Persönlicher Glaube vertreibt persönlichen Hunger.
  • Mt 6,31-33
    31 So seid nun nicht besorgt, indem ihr sagt: Was sollen wir essen? Oder: Was sollen wir trinken? Oder: Was sollen wir anziehen?
    32 Denn nach diesem allen trachten die Nationen; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles benötigt.
    33 Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Und dies alles wird euch hinzugefügt werden.

Oft ist den Christen schon klar, dass es besser wäre, das Böse zu bekämpfen anstelle des Hungers. Aber die Bekämpfung der Symptome ist sehr viel einfacher als die Bekämpfung der Krankheit, und man blickt in dankbare Kinderaugen - wenn man den Menschen erklärt, dass sie sich Gott zuwenden sollen und die Sünde abwählen sollen, schaut man selten in dankbare Augen, zumindest nicht kurzfristig.

Die Veränderung der äußeren Umstände macht ein gutes Gewissen und ein gutes Gefühl, und man fühlt sich von den Hilfeempfängern geliebt. Die Verbreitung des Evangeliums führt zu Widerstand und Ärger. Also wählt man das andere.

Das Joch, an dem man zieht

Paulus übernimmt in 2.Korinther 6,14 ein altes biblisches Prinzip, welches besagt, dass man nicht mit den Ungläubigen zusammen am gleichen Karren ziehen soll. Dafür gibt es auch jede Menge Gründe, warum man die Ungläubigen ihren Karren alleine ziehen lassen soll, für deren Aufzählung hier der Platz nicht reicht.

Wenn aber die Vereinten Nationen, in deren Sicherheitsrat Herr Putin ein Vetorecht hat und wo Nordkorea stimmberechtigt in der Vollversammlung sitzt, zusammen mit der Weltbank und dem internationale Währungsfond die Milleniumsziele zur Beseitigung der Armut, Förderung der Schulbildung und zur Zurückdrängung schwieriger Krankheiten herausgegeben hat, und wenn wir als Christen dann daran mitwirken, dann sitzen wir da möglicherweise mit den falschen Leuten an einem Tisch.

Die Frage nach dem Reich

Eine der Hauptfragen, der wir uns bei diesem Thema stellen müssen, ist die Frage, wessen Reich mit unseren Bemühungen gebaut wird. Und "Reich" meint hier "Herrschaftsgebiet", meint die Frage, wer am Ende unserer Bemühungen die Macht hat an der Stelle, wo wir geholfen haben.

Wenn das Ergebnis unserer Bemühungen ist, dass wir nur das Reich des Satans mit mehr Wasser und mehr Smartphones ausgerüstet haben und wenn die neidischen und eifersüchtigen Menschen jetzt gesünder sind, weil sie alle eine Krankenversicherung haben, dann ist die Welt durch unser Bemühen wohlhabender und gesünder geworden, aber nicht besser. Wir haben dann die Missgunst und die Habsucht auf ein höheres medizinisches und finanzielles Niveau gehoben - ob uns dafür jemand danken wird, scheint fraglich.

Wenn das Ergebnis unserer Anstrengungen ist, dass der Teufel jetzt eine bessere technische Ausstattung hat und mehr kerngesunde Mitarbeiter, die die Werke des Fleisches mit frischer Energie angehen können, dann waren wir irgendwie kontraproduktiv.

Gottes erklärte Absicht ist es, SEIN Reich zu bauen, SEINEN Herrschaftsbereich auszubauen. Wenn das Ergebnis unserer Bemühungen nicht ist, dass der Wille Gottes geschieht, können wir kaum behaupten, im Auftrag Gottes zu handeln.

Oder krasser ausgedrückt: Wenn die Menschen, die vorher mit schlechter Ernährung und ohne Smartphone in der Hölle landeten, aufgrund unserer Bemühungen gut ernährt und mit Smartphone in der Hölle landen, ist in den Augen Gottes nichts gewonnen.

Verwechselung von "intern" und "extern"

Die Gebote des Alten Testamentes waren nur für den Gebrauch innerhalb der Gemeinde bestimmt. Sie galten nicht bezüglich Menschen, die außerhalb Israels lebten. Hier entsteht leicht der Fehler, dass man die internen Anordnungen zur Versorgung von Witwen und Waisen und zum Umgang mit Fremden und Benachteiligten, die innerhalb des Gottesreiches lebten, heute auf alle Ungläubigen auf der Welt ausweitet, sie also als externe Anordnungen interpretiert.

Der Schuldenerlass in Deut 15:3 galt aber ausdrücklich nur für Gemeindeglieder. Es wird eigens betont, dass man Ausländern keineswegs die Schulden zu erlassen braucht. Und Deut 23:21 verbietet es, dem Gemeindeglied Zinsen aufzuerlegen, erlaubt es aber ausdrücklich Fremden gegenüber. Lev 25:44-46 erlaubt ausdrücklich, sich von Ausländern Sklaven zu nehmen und sie und ihre Nachkommen "auf ewig" als Sklaven zu behalten. Aber Gemeindeglieder, die sich aus Not verkaufen müssen, dürfen noch nicht einmal wie Sklaven behandelt werden und müssen nach 6 Jahren frei gelassen werden.

Auch die Speisung der 4000 und der 5000 war eine rein interne Maßnahme für Zuhörer von Jesus, die noch nicht einmal arm waren, sondern sich etwas zu essen hätten kaufen können, wenn es in der Nähe einen Laden gegeben hätte.

Fazit: Die Anweisungen im Alten Testament bezüglich Armen und Benachteiligten galten nicht für die Einwohner von Ägypten oder Babylon. Sie können darum auch nicht als Argument für den weltweiten Kampf gegen Armut und Hunger benutzt werden.

Der Auftrag an die Christen

1. Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst

Das Problem an dieser Anweisung ist, dass Jesus den Auftrag der Nächstenliebe garniert hat mit einem Beispiel, wie es geht. Und das ist das Beispiel vom barmherzigen Samariter. Der barmherzige Samariter hat aber ganz etwas anderes gemacht, als für Gerechtigkeit zu sorgen. Wie schon in einem der vorhergehenden Artikel zu lesen war: Gerechtigkeit ist in den Augen Gottes unzureichend und einfach zu wenig.

Oder anders gesagt: Dafür zu sorgen, dass die Palästinenser genügend Wasser bekommen, ist politisch und humanitär eine exzellente Idee. Aber das ist bei weiten zu wenig und entschieden zu kärglich, um unter der Überschrift "Nächstenliebe" durchzugehen. Es ist zwar gerecht, aber Nächstenliebe ist das noch lange und bei weitem nicht. Und Jesus hat uns nicht aufgefordert, die Welt mit ausgleichender Gerechtigkeit zu beglücken - und der barmherzige Samariter hat auch nicht dafür gesorgt, dass diese blöde Straße zwischen Jerusalem und Jericho endlich sicherer wird und dass da Polizeiposten aufgebaut werden und die Büsche beseitigt werden, hinter denen die Räuber sich verstecken. Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Armut zu bekämpfen, damit weniger Menschen gezwungen werden, vom Straßenraub zu leben - aber Jesus hat "Nächstenliebe" völlig anders definiert.

Und um bei dem Beispiel zu bleiben: Sich für mehr Wasser für die Palästinenser einzusetzen, ist eine Einmischung in einen Machtkampf - nämlich in den zwischen Israel und den Palästinensern (und Jordanien und Syrien ...) - über die Verteilung des Wassers in Nahost. Und dass Jesus sich in irdischen Machtkämpfen jemals auf die Seite irgendeiner Partei geschlagen hat, kann man ihm nun wirklich nicht nachsagen.

2. Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben

Um dieses Gleichnis in Matthäus 25 anwenden zu können, muss man klären, ob die Brüder des Königs in Matthäus 25:40 alle Menschen auf der Erde sind. Da der König in dem Gleichnis vermutlich Jesus ist, müssen wir fragen: Wer sind im biblischen Sprachgebrauch die Brüder von Jesus? Matthäus 28:10 und Hebräer 2:11+12 können da helfen.

Je nachdem, wie man die Frage nach den Brüdern des Königs beantwortet, verändert sich die Aussage des Gleichnisses grundlegend:

  • Wenn "Brüder" alle Menschen sind, dann ist dieses Gleichnis eine Geschichte darüber, dass weltweite (oder wohnortnahe) Hilfeleistungen den Helfenden die Tür zum Himmel öffnen. Dann hätten wir allerdings das Problem, dass man sich den Eintritt in den Himmel mit guten Werken "kaufen" kann.
  • Wenn die Brüder aber Christen sind, die Helfer aber entweder Gläubige oder Ungläubige, dann ist das ein Gleichnis darüber, wie sehr Jesus die Gläubigen am Herzen liegen, so dass er jeden belohnt, der ihnen Gutes tut. Das wäre dann parallel zu Markus 9:41 und Matthäus 10:42 und Hebräer 6:10, Johannes 13:20, Lukas 10:16 und viele andere.

3. Wohlzutun und Mitzuteilen vergesst nicht!

Steht in Hebräer 13:16 und gibt den Inhalt von "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" mit anderen Worten wieder.

4. Der Lohn der Schnitter bei Jakobus

Am Anfang von Jakobus 5 steht ein Angriff gegen die Reichen, die den Lohn der Schnitter nicht gezahlt haben und den Gerechten schuldig gesprochen haben.

Entscheidend für das Verständnis dieses Textes ist die Frage, an wen diese Schrift des Jakobus gerichtet ist. Wer waren die Leser? Wen hatte Jakobus als Adressaten und damit als Leser vor Augen?

In Jakobus 5:7 + 10 + 12 spricht Jakobus seine Leser mit "Brüder" an, und im ganzen Schreiben ergeht immer wieder die Anrede "ihr", und gemeint sind offenbar Leute, die gleichzeitig gläubige Christen und Gemeindeglieder waren. Auch die Reichen werden mit "ihr Reichen" angesprochen, es geht offenbar nicht prinzipiell um die Reichen dieser Welt. Sondern es geht um Leute, die dieses Schreiben tatsächlich lasen - und ein gottloser Großgrundbesitzer hätte dieses Schreiben wahrscheinlich weder zu Gesicht bekommen, geschweige denn gelesen.

Und nebenbei erwähnt: Den Schnittern ihren Lohn nicht zu zahlen und den Gerechten zu töten, ist nicht ungerecht, sondern kriminell.

Was nun? Nichts tun?

Was gar nicht geht, ist zu sagen: "Wir fangen jetzt erstmal mit dem Hunger und der Ungerechtigkeit an, das ist wenigstens mal ein Anfang. Die Bekämpfung des Bösen und die Ausbreitung des Evangeliums lassen wir folgen. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen."

Wenn man mit dem Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit anfängt, wird der zweite Teil niemals folgen. Da weltweit der (politische) Wille fehlt, die Armut und die Ungerechtigkeit zu beseitigen (wir Deutschen profitieren nämlich massiv von der Armut und der Ungerechtigkeit in der restlichen Welt), darum werden unsere Kräfte schon in diesem ersten Schritt erschöpft werden. Wir werden dann niemals dahin kommen, den zweiten Schritt zu gehen.

Außerdem ist die Welt ziemlich groß, die Zahl der Probleme unüberschaubar und unsere Erfolgschancen nicht kalkulierbar. Es wäre immer der Tropfen auf den heißen Stein - der leider nicht der Anfang eines Regens ist, sondern in den Wirren dieser Welt verdampft.

Da wir berufen sind, den Willen Gottes zu tun, ist die einzige richtige Lösung, Gott zu fragen, was wir tun sollen. Denn Gott ist ja nicht prinzipiell gegen das Tun des Guten, aber wo es ziellos passiert, wird es für Gottes Reich nicht fruchtbar.

Diese Strategie setzt natürlich voraus, dass man in der Lage ist, Gottes Stimme zu hören. Wer raten muss, was Gott wohl gesagt haben mag, ist hier schlecht beraten. Und man ist genauso schlecht beraten, wenn man das Gebot, den Nächsten zu lieben, von der Beziehung zu Gott löst und auf ein ethisches Prinzip herabwürdigt.

Die Gefahr hierbei ist natürlich, dass Gott auf meine Frage etwas antwortet, das ich nicht hören will und auch nicht machen will. Denn erfahrungsgemäß wird Gott mir einen Auftrag erteilen, der vor allem MICH verändert und erst in zweiter Linie die Anderen und die Umstände. Wenn Gott antwortet, "liebe ... wie Dich selbst" heißt, dass 50% meines Einkommens ich bekomme und die anderen 50% jemand anderer, dann entspricht das schon dem Bibeltext, aber das will man ja nicht hören.

Außerdem besteht die Gefahr, dass Gott mir einen Bedürftigen oder eine Gruppe von Bedürftigen zuweist, die mir in irgendeiner Hinsicht unsympathisch ist. Menschen helfen zu müssen, die man gar nicht mag, war ja auch nicht unbedingt, was man wollte.

Und wenn man Gott fragt und dann eine Antwort bekommt, ist NEIN sagen auch schlecht. Gott verzeiht Schwäche, aber seine Haltung gegenüber Verweigerern ist von einer härteren Gangart gekennzeichnet.

Merkste was?

Es gäbe eine Möglichkeit, diese Welt nachhaltig zu verbessern. Aber diese Methode hat soviel mit "das eigene Leben verlieren" zu tun, dass man dann doch lieber etwas anderes macht.