Inspiration

Der Gedanke der Inspiration ist ein von Menschen konstruiertes Konstrukt, welches besagen soll, dass die Autoren, die die Bibel geschrieben haben, nicht ihre eigene Meinung geschrieben haben, sondern vom Heiligen Geist als Werkzeug benutzt wurden, um den Willen Gottes schriftlich und fehlerfrei niederzulegen.

Die Beschreibungen, wie diese Inspiration zu verstehen ist, gehen aber weit auseinander. Von der "Verbalinspiration", die davon ausgeht, dass jedes einzelne Wort ausdrücklich von Gott legitimiert wurde, über die "Gedankeninspiration", die besagt, dass die Schreiber die Gedanken von Gott hatten, die Worte aber selber auswählen duften, bis hin zu einer "nachträglichen Inspiration", also dass Gott seinen Geist erst in die einzelnen Schriften gelegt hat, als sie fertig waren und Gott sah, dass man sie brauchen konnte, ist alles dabei.

Letztlich geht es bei der Diskussion über die Inspiration um die Frage, ob und inwieweit die Bibel "Wort Gottes" ist.

Der Nutzen des Inspirationsgedankens

Das Modell der Inspiration tauchte in den Gemeinden erst auf, als die Gemeinden den direkten Kontakt zu Gott auf breiter Front verloren hatten und als erstarkende gesellschaftliche und politische Kraft in zahllose Machtkämpfe verwickelt waren. Die Inspiration war eine Waffe, um zu beweisen, dass man Recht hatte. Bis zum Jahr 337 n.Chr. waren die Gemeinden 300 Jahre lang ohne die Lehre der Inspiration ausgekommen.

Leider ist die Auslegung der inspirierten Bibel bis heute sehr uninspiriert, und Menschen, die genau den gleichen (inspirierten!) Text lesen, kommen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen darüber, was der Text aussagen soll. Infolgedessen ist der Nutzen der Inspirationslehre also sehr gering. Die Ausbildung tausender Sekten und Abspaltungen konnte sie nicht verhindern.

Der Nutzen dieser Lehre wird auch dadurch geschmälert, dass man jetzt ein weiteres Dogma geschaffen hat, an das die Menschen bitteschön glauben sollen. Dabei hat Gott uns schon genug schwierige Sachen zum Glauben gegeben, da hätten wir einen weiteren komplizierten (und schlecht definierten) Glaubenssatz nun wirklich nicht gebraucht.

Schwierigkeiten

Die Frage, inwieweit die Bibel Gottes Wort ist, ist ungeheuer vielfältig und komplex, denn sie hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab, von denen die meisten nicht messbar oder beweisbar sind. Siehe in diesem Lexikon unter "Bibel: Wort Gottes".

Die Lehre von der Inspiration vereinfacht diese höchst komplizierten Vorgänge auf eine Art und Weise, die der Glaubwürdigkeit der Bibel mehr schadet als nutzt. Denn letztlich ist es eben tatsächlich Gott, der in der Bibel am Werk ist, und das sich über Jahrtausende erstreckende Handeln eines so gewaltigen Gottes auf einen als Dogma gefassten Glaubenssatz zu reduzieren, kann eigentlich nur daneben gehen.

Zudem verschwindet der Geist Gottes ganz schnell aus den Worten der Bibel, wenn man diese Worte für etwas einsetzt, das nicht dem Willen Gottes entspricht. Wer die Worte der Bibel zur Unterdrückung anderer einsetzt oder zur Durchsetzung seiner eigenen privaten Interessen, der kann jedwede Form der Inspiration vergessen. Wer seinen eigenen Geist durchsetzen will, braucht auf den Geist Gottes nicht zu hoffen.

Und nun?

Die meisten Einzelaussagen, die die Lehre von der Inspiration macht, sind eigentlich richtig. Das Problem ist, dass diese Einzelaussagen zusammengefasst werden, obwohl man Äpfel und Birnen schlecht zusammenfassen kann, und aus dieser katastrophalen Mischung wird dann ein Glaubenssatz gemacht, der mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet.

Hier seien nur als Beispiel einige Tatsachen aufgelistet, welche die Inspirationslehre aufgreift und die, jede für sich betrachtet, richtig und wahr sind:

  • Die Bibel ist trotz ihrer äußeren Verschiedenheit von vorne bis hinten ein einheitliches Buch. Man spürt deutlich, dass hinter dem Gesamtwerk ein einziger großer Denker steckt. Es gibt einen unübersehbaren roten Faden, den Menschen so nicht hätten reinweben können.
  • Zu vielen der Autoren der Bibel hat Gott direkt geredet, entweder mit Worten oder mit Bildern und Videos, die die Schreiber dann in Worte fassen mussten. Damit ist die "Inspiration" dieser Aussagen ohnehin klar, denn wenn Gott selber es gesagt hat, wird es schon inspiriert sein :-) ! Ob diejenigen Autoren, die Bilder oder Videos von Gott zu sehen bekommen haben, dafür tatsächlich die richtigen Worte gefunden haben, kann man natürlich nicht beweisen, denn wir haben diese Dinge ja nicht gesehen und können es nicht beurteilen.
  • Gott selber hat die Aussagen der älteren Schriften in der nachfolgenden Zeit immer wieder dadurch bestätigt, dass das, was vorhergesagt wurde, auch eingetreten ist.
  • Ob das, was im Text steht, tatsächlich wahr ist, kann man in den meisten Fällen ausprobieren. In Mal 3:10 fordert Gott die Menschen ausdrücklich auf, seine (niedergeschriebenen) Aussagen zu prüfen, und Jesus sagt in Jh 7:17, dass jemand, der wirklich Gottes Willen tun will, beim Lesen, Nachdenken und Ausprobieren schon rauskriegen wird, ob das, was Jesus sagt, der Wille Gottes ist oder nicht. Und das ist ja letztlich das Wesen des Glaubens: 1. Lesen, 2. das Gelesene glauben, 3. Ausprobieren, 4. Überrascht sein.
  • Jesus hat große Teile dessen, was wir heute als Altes Testament vorliegen haben, als verbindliche Aussagen Gottes bestätigt. Und Jesus hat Teile des Alten Testamentes auch so benutzt, als spräche Gott selbst durch diese Worte und als wären diese Worte in sich selbst sehr mächtig. (Z.B. bei seiner Versuchung durch den Teufel.)

Fazit

Die einzelnen Gedanken, die der Lehre der Inspiration zu Grunde liegen, sind im Großen und Ganzen richtig. Diese Gedanken aber zu einer einzigen Lehre zusammen zu fassen, an die die Gläubigen dann glauben sollen, ist völlig überflüssig und produziert mehr Probleme, als sie löst.

Und weil die Bibel niemals von sich sagt, dass die ganze Bibel inspiriert ist - weil die Bibel von der Existenz der Bibel nämlich nichts wusste - darum braucht man die Lehre der Inspiration auch nicht zu glauben.