Kanon – warum es so etwas gibt

Dieser Artikel erklärt, warum die Bibel überhaupt aus einem „Kanon“ besteht, also aus einer Sammlung vieler verschiedener Schriften von vielen verschiedenen Autoren aus vielen verschiedenen Jahrhunderten.

Warum ist die Bibel nicht einfach eine Schrift von einem Autor, wie z.B. der Koran? Und wozu braucht man überhaupt eine „heilige Schrift“? Der Buddhismus kommt ja auch ohne aus.

Die Unnötigkeit heiliger Schriften

Vor dem Judentum gab es im Orient und im Mittelmeerraum überhaupt keine heiligen Schriften. Der Gedanke als solcher war völlig unbekannt.des Kanons Nötigkeit

Sumerer, Assyrer, Babylonier, Hethiter, Ägypter, Griechen und Römer hatten keine heilige Schrift. Die Juden waren die ersten, die so etwas für notwendig hielten.

Dieses Nichtvorhandensein heiliger Schriften kommt daher, dass Naturreligionen, Fruchtbarkeitsreligionen und Staatsreligionen keine solchen schriftlichen Aufzeichnungen benötigen.

Bei den Naturreligionen steht das, was angebetet wird, ja ständig vor Augen. Oder es kommt regelmäßig wieder. Das gilt für Jahreszeiten genauso wie für kosmische Zeichen. An diesen Dingen ändert sich nie etwas. Die Sonne und der Mond haben einen unabänderlichen Fahrplan, der Regen kommt immer zur Regenzeit, der Frühling kommt zuverlässig jedes Jahr wieder. Da braucht man nichts aufzuschreiben, denn jeder kann die Erscheinungen dieser Religion selber immer wieder erleben.

Bei Staatsreligionen wie den Ägyptern oder den Römern ist es genauso. Der Staat ist ja vorhanden, jeder spürt ihn, jeder hat dauernd mit ihm zu tun. Um die Macht des Pharao ehrfürchtig wahrzunehmen, braucht man keine heilige Schrift.

Wer eine heilige Schrift braucht

Nur Geschichtsreligionen brauchen eine heilige Schrift.

Denn in Geschichtsreligionen offenbart sich Gott immer mal wieder im Laufe der Geschichte. Gott offenbart sich, und die Offenbarungen bauen aufeinander auf. Man muss die älteren Verlautbarungen Gottes kennen, um die jüngeren verstehen zu können.

Das Judentum ist die erste Geschichtsreligion der Welt. Es gibt im Altertum keinerlei Parallele. Das Christentum baut auf das Judentum auf und ist ebenfalls eine Geschichtsreligion. Der Islam wiederum baut auf dem diesen beiden auf (was die Moslems natürlich intensiv bestreiten werden – aber haben Sie den Koran schon einmal gelesen?), wobei die Geschichte im Islam denkbar kurz ist, denn der Engel Gabriel hat dem Mohammed die Texte innerhalb von 20 Jahren diktiert.

Warum eine heilige Schrift ein Kanon ist

… und eben nicht einziges Werk von einem einzigen Autor, wie der Koran.

Wenn Sie die heiligen Schriften der Welt vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen lassen, werden Sie merken, dass die Idee eines Kanon extrem selten ist. Das hängt damit zusammen, dass es nicht so oft vorkommt, dass Gott sich über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren ein und derselben Gruppe immer wieder zeigt, immer wieder mit diesen Leuten redet.

Wenn Gott das aber macht, dann ist es wichtig, dass man die Offenbarung, wenn Gott an einen Menschen herantritt und sich meldet, nie wieder vergisst. Wenn man Gott ernst nimmt, kann man nicht sagen: „Naja, er kann es ja den Nachkommen in 50 Jahren einfach nochmal erzählen.“ Und die mündliche Überlieferung erwies sich über Generationen hinweg als nicht stabil genug. Wenn die Aussage Gottes nach 300 Jahren noch die gleiche sein soll und die späteren Generationen tatsächlich die Wahrheit erfahren sollen, dann kann man sich nicht auf ein Verfahren wie „Stille Post“ verlassen.

Folglich braucht man, um die Worte Gottes wahrheitsgemäß weiter zu geben, eine Erinnerungskultur, die verschriftlicht wird, was nachgewiesener Maßen eine sehr hohe Zuverlässigkeit besitzt, wie z.B. die Schriftrollen von Qumran gezeigt haben.

Wenn aber über Jahrhunderte aufgeschrieben wird, was Gott den Menschen mitteilt, versteht es sich von selbst, dass das verschiedene Menschen aufschreiben müssen. Diese Menschen werden aber, ihrer jeweiligen Zeit und ihrer Persönlichkeit gemäß, verschiedene Stile verwenden, weshalb wir in der Bibel so viele unterschiedliche Literaturgattungen haben.  

Woran man merkt, dass es funktioniert hat

Nun, das ist ja klar: Man merkt es an der Veränderlichkeit und der Unveränderlichkeit.

Kanon allgemeinDer Gott, der sich über Jahrhunderte in der Geschichte gemeldet hat, muss immer der gleiche sein und nach den gleichen Regeln und Maßstäben handeln.

Wenn sich die Maßstäbe und Regeln und damit die Persönlichkeit und die Absichten des sich offenbarenden Gottes ändern, dann ist der Beweis nicht zu führen, dass es sich um ein und denselben Gott handelt.

Noch dazu, wo die Unveränderlichkeit (= Ewigkeit) Gottes ein erklärter Teil seines Wesens ist.

Gleichzeitig muss die Offenbarung aufsteigend sein.

Wenn Gott bei jedem Erscheinen die gleichen Basics von sich gibt, ist die Verschriftlichung sinnlos. Die jungen Leute müssen das alte Zeug nicht lesen, denn genau das Gleiche wird Gott ihnen selbst ja auch wieder erzählen. In so einem Fall ist aus erster Hand aber besser als aus zweiter. Auch wenn man natürlich argumentieren könnte, wenn Gott immer das Gleiche sagt, sei das ein besonderer Beweis seiner Unveränderlichkeit.

Dieser Beweis gilt aber nicht, denn hier könnte genau das vorliegen, was uns im Glauben solche Schwierigkeiten macht: Dass die Leute immer erwarten, das Gleiche von Gott zu hören. Dass sie irgendwelche alten Texte nachplappern und nicht mitbekommen, dass Gott ihnen etwas neues sagen möchte.

Dass die Sache mit dem Kanon funktioniert hat, erkennt man daran, dass man eine aufsteigende Offenbarung hat, wo das Neue, das Gott verkündet, auf all dem vorherigen aufbaut.

Und wenn das dann auch noch von so vielen verschiedenen Menschen gehört und aufgeschrieben wurde zu verschiedenen Zeiten, die alle ihre eigenen Präferenzen hatten und wo die Botschaft Gottes durch diese Präferenzen unbeschadet und unverfälscht hindurchgekommen ist, dann ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass man es mit einem echten Gott zu tun hat.

Denn merke, Mohammed: Ein einigermaßen einheitliches dickes Buch in 20 Jahren aufzuschreiben, können viele. Aber mach das mal in über 1000 Jahren!