Das geknickte Rohr

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Denn in diesem Artikel wird Ihnen eine Ausrede für schwachen Glauben weggenommen.

Dieser Beitrag stiehlt Ihnen eine Bibelstelle, mit der Sie die Kleingläubigen trösten konnten, die nach 20 Jahren „im Glauben“ immer noch elende Würmer sind und auch nicht die Absicht haben, Sieger zu werden und Überwinder, Helden des Glaubens und religiöse Fleischesser.

Wie schön war es doch, als man diesen schwachen Seelen mitteilen konnte, dass sie, ja sie!, das geknickte Rohr sind, das Jesus nicht zerbrechen wird, und der glimmende Docht, den Jesus nicht auslöschen wird. Und dass sie sich gar nicht zu ändern brauchen, denn Jesus liebt sie so, wie sie sind, und er legt gar keinen Wert auf Wachstum und starken Glauben!

Natürlich könnte man auch den Zusammenhang lesen. Aber wozu? Ist Wahrheit so wichtig?

Der Zusammenhang

In Mt 12,14 beschließen die Pharisäer, Jesus zu töten.

In Vers 15 erkennt Jesus diese Pläne, und darum geht er von dort weg. Er wollte mit dem Mordversuch der Pharisäer in diesem Moment nicht konfrontiert werden. Er wollte den Pharisäern aus dem Weg gehen.

Im Vers 16 fordert Jesus die Geheilten und die Zuschauer auf, ihn nicht zu verraten. Die Pharisäer sollen Jesus nicht finden.

Ab Vers 17 gegründet Matthäus diese Bitte Jesu, ihn nicht zu verraten, mit der Bibelstelle aus Jesaja 42 über das geknickte Rohr.

Der aufmerksame Leser des Bibeltextes merkt vielleicht: Zarte Seelen oder Menschen mit schwachem Glauben kommen hier gar nicht vor. Das geknickte Rohr und der glimmende Doch können sich nicht auf Kleingläubige oder Menschen mit geringem Selbstbewusstsein beziehen, weil solche Menschen im Text und in der beschriebenen Situation nicht vorkommen.

Was hier aber vorkommt, sind Pharisäer mit Mordplänen und ein Messias, der auf der Straße nicht streitet und nicht schreit, also offenbar nicht andere davon überzeugen will, dass er Recht hat; und seine Stimme wird man auf der Straße nicht hören, also Propagandakundgebungen sind nicht sein Ding.

Und er wird den glimmenden Doch und das geknickte Rohr solange nicht erledigen, bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat. Dann aber schon. Wenn einmal göttliches Recht gilt und umgesetzt wird, dann hat das geknickte Rohr nichts mehr zu erhoffen.

Was der Zusammenhang sagen will:

Jesus wird seine Gegner nicht mit den Methoden der Gegner bekämpfen.

Wenn die Pharisäer ihn mit ihren (weltlichen) Methoden angreifen, wird Jesus sich nicht mit weltlichen Methoden wehren. Weder wird er den Pharisäern ein Zeichen vom Himmel geben, noch wird er sie tot umfallen lassen oder auf irgend eine andere Art und Weise sie bekämpfen.

Darum geht Jesus den Pharisäern hier aus dem Weg und versucht zu verhindern, dass die Leute seinen Aufenthaltsort verraten. Weil Jesus nicht gegen die Pharisäer kämpfen würde, wenn sie jetzt mit dem Dolch kämen. Aber der Termin für seinen Tod ist ja eigentlich noch nicht da.

Das geknickte Rohr ist der schwache Widerstand, und der glimmende Doch desgleichen. Selbst so einen schwachen Widerstand wird Jesus nicht niederschlagen.

Wenn der Widerstand gegen Jesus als Baumstamm daherkommt oder als flammender Zorn, dann könnte man sagen, es würde ja wirklich aussehen wie Harry Potter oder Superman, wenn Jesus solchen Widerstand jetzt Kraft seiner göttlichen Macht brechen würde.

Aber wenn der Widerstand so klein und schwach ist, dann könnte Jesus doch eigentlich … das merkt doch keiner … einmal gegentreten, einmal böser Blick, und wusch! ist Ruhe.

Hilfe von Jesaja

Das Zitat von Matthäus stammt aus Jesaja 42, und wenn man die Bibelstelle bei Matthäus verstehen will, ist es nicht dumm, zu schauen, wie sie denn bei Jesaja gemeint ist. Denn vermutlich zitiert Matthäus Jesaja, weil er das gleiche sagen will, was auch Jesaja sagte.

Und bei Jesaja heißt es: Jes 42,3-4

3 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue bringt er das Recht hinaus. 

 4 Er wird nicht verzagen (wörtlich: nicht lichtlos oder ausdruckslos werden) noch zusammenbrechen (wörtlich: nicht knicken), bis er das Recht auf Erden aufgerichtet hat. Und die Inseln warten auf seine Weisung. — 

Da wird es klar:

  • Der Kommende wird niemandem den Untergang bringen, aber er selbst wird auch nicht untergehen.
  • Der Kommende wird keine Opfer zurücklassen, aber er selbst wird auch nicht zum Opfer werden.
  • Der Kommende bläst niemandem das Lebenslicht aus, aber seines wird auch keiner ausblasen.
  • Und dass der Kommende das sowieso schon lädierte Rohr nicht zerbricht, heißt noch lange nicht, dass irgendwer ihn zerbrechen kann.

Und das ist erstaunlich, denn eigentlich funktioniert die Welt so nicht. Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer. Wenn einer Marktanteile gewinnt, muss ein anderer welche verlieren.

Aber bei Jesus wird es anders sein: Er wird hochkommen, ohne jemanden nieder zu machen. Er wird gewinnen, ohne eine lange Blutspur zu hinterlassen.

Anwendung für den heutigen Leser

Wenn Sie, lieber Leser, heute Widerstand gegen den Willen Gottes leisten, ist das kein Problem. Auch wenn Sie nur einen schwachen Widerstand leisten – wobei Sie in den Augen Gottes ohnehin so schwach sind, dass die Menge Ihres Widerstandes eigentlich egal ist – Gott wird nicht gegen Sie kämpfen.

Widerständler lässt Gott in Ruhe.

Schließlich hat Gott den Menschen die Freiheit gegeben. Dann kann er sie nicht jedesmal sofort bestrafen, wenn sie die Freiheit benutzen. Erst am Weltende wird bewertet, was Sie im Endeffekt aus Ihrer Freiheit gemacht haben.

Wenn Gott Ihnen also keinen Ärger macht, ist das keineswegs ein Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Es kann genauso gut bedeuten, dass Gott Ihren Widerstand nicht bricht.

Ganzheitliche Schlussbemerkung

Die Idee, dass das geknickte Rohr ein schwacher Gläubiger ist, ist schon allein deswegen seltsam, weil Jesus dem Kleinglauben niemals seine Unterstützung zugesagt hat.

Und in diesem Lexikon können Sie unter dem Stichwort „Senfkorn“ nachlesen, dass es keineswegs heißt „wenn Ihr Glauben habt so klein wie ein Senfkorn“. Auch da ist bei der Auslegung meistens der Wunsch der Vater des Gedankens, nicht der Bibeltext.

Auch Paulus und die anderen Briefeschreiber haben niemals dem kleinen Glauben das Wort geredet. Und dass Paulus in 1.Thessalonicher 5,14 die Gemeinde auffordert, die Kleinmütigen zu ermutigen und die Schwachen zu tragen, heißt nicht, dass Kleinmut gut und Schwächlichkeit lobenswert ist. Es heißt, dass es Menschen gibt, die wir nicht ändern können. Aber auch für solche Menschen, bei denen wir vielleicht zur Verachtung neigen würden, gilt die Liebe. Und das letzte Urteil über den Glauben dieser Menschen spricht Gott, nicht wir.