Sklaverei – Die Herkunft der biblischen Haltung

Im Altertum gingen die Menschen davon aus, dass sich an den Regeln dieser Welt nichts ändert. Der Lauf des Lebens, der Planeten, der Jahreszeiten, das würde für alle Zeit und alle Generationen gleich sein.

Das hatte auch Auswirkungen auf die Religionen, die ihre Basis oft in diesen unveränderlichen Abläufen hatten. Die Ägypter und Assyrer haben Hymnen auf diese Weltordnung gesungen, und die Religionswissenschaft hat ein Wort dafür erfunden: „Ontokratie“. Die Herrschaft des unveränderlich Seienden. Der Status Quo ist ewig, und er ist heilig, weil die Götter ihn gemacht haben.

Zu dieser ewig konstanten Weltordnung gehörte selbstverständlich auch die Sklaverei. Und zwar weltweit. In allen Hochkulturen des Altertums ist sie nicht nur anzutreffend, sondern sogar wichtig und wird als ewig gegeben niemals hinterfragt: Inkas, Azteken, Chinesen, Inder, Römer, Griechen, Ägypter, Assyrer, Babylonier, Hethiter, Sumerer. Es gibt keine einzige Ausnahme.

SklavereiDer größte Eigentümer von Sklaven war in der Regel der Staat. Die großen Bauwerke der Antike sind ohne viele tausend Sklaven gar nicht denkbar. Diese staatlichen Sklaven waren in der Regel Kriegsgefangene oder im Laufe von Kriegen Deportierte. Daneben gab es auch noch Haussklaven, die sehr unterschiedlicher Herkunft sein konnten.

(Die Israeliten in Ägypten waren, wie man der Bibel entnehmen kann, ebenfalls Eigentum des Staates. Sie brannten Ziegel im Auftrag des Staates, und Mose musste den Pharao fragen wegen der Urlaubsregelung.)

Auch die großen Philosophen des Altertums, allen voran Platon, können sich einen Staat ohne Sklaven nicht vorstellen.

Und wenn es dann doch einmal einen Sklavenaufstand gab, dann ging es nicht darum, die Sklaverei abzuschaffen, sondern den Spieß umzudrehen. Die Sklaven sollten herrschen, und die Herrschenden sollten versklavt werden. Spartakus lässt grüßen.

Platon beschreibt den idealen Staat in einer Utopia, und dieser ideale Staat hat selbstverständlich Sklaven. Man hatte eine öffentlich geregelte Sklaverei, so selbstverständlich, wie wir Arbeiter, Angestellte und Beamte haben. Da war keinerlei Unrechtsbewusstsein vorhanden, im Gegenteil: die Sklaverei gehörte zur ewigen, guten, göttlichen Weltordnung.

Das Ende der Unveränderlichkeit

Dann weidet auf dem Sinai ein Mann die Schafe seines Schwiegervaters.

Da er kein Smartphone besitzt, kann er einen brennenden Dornbusch betrachten. Dass Dornbüsche sich selbst entzünden, war nichts Besonderes. Dieser allerdings verbrannte nicht, man hätte ihm also lange beim Brennen zuschauen können.

Und dann spricht aus dem Dornbusch eine Stimme.

Und diese Stimme sagt etwas, was vermutlich noch nie eine Stimme auf der Welt gesagt hat: Exodus 3,7 (ELB)

7 Der Herr aber sprach: Gesehen habe ich das Elend meines Volkes in Ägypten, und sein Geschrei wegen seiner Antreiber habe ich gehört; ja, ich kenne seine Schmerzen.

Die Sklaven waren für die Ägypter in moralischer Hinsicht so unwichtig, dass sie nirgendwo in den ägyptischen Schriften und Wandmalereien positiv erwähnt werden. Aus dem Dornbusch spricht offenbar eine Stimme, die völlig anders denkt als die Eliten in den Hochkulturen.

Diese Stimme aus dem Dornbusch ist nicht nur Grundlage für die Haltung der Bibel zur Sklaverei, sondern sie ist Grundlage für den gesamten Inhalt der Bibel. Alle drei großen jüdischen Feste beziehen sich auf diese Ursprungssituation des Gottesvolkes, auf den Exodus: Das Pessachfest, das Laubhüttenfest und das Pfingstfest, welches an die Übergabe der Gebote an Mose erinnert, was aber zur Sklavenbefreiung zwingend dazu gehört. Es gibt im Judentum kein Abrahamsfest. Grundlage des Volkes Israel ist nicht der Urahn, sondern die Befreiung aus der Sklaverei.

Neue Maßstäbe

Die Stimme aus dem Dornbusch hat deutlich gemacht, dass in ihrem Herrschaftsbereich die Herrschaft des Menschen über den Menschen ein Unding ist.

Damit ist diese Stimme staatskritisch und herrschaftskritisch. Sie schafft Herrschaft an sich nicht ab, weil es ohne Regelungen des menschlichen Miteinanders nicht geht. Aber sie setzt der Macht als dem Grundproblem des Menschen und der Menschheit enge Grenzen.

Diese Stimme trat auch nicht auf, um die Sklaven zu trösten. Sie sagte nicht: „Ich habe eine Idee, wie man die Hebräer tröstet, damit sie länger durchhalten.“ Das Ziel war ein Aufstand, eine Revolution, der Zug in ein Land, wo Gerechtigkeit wohnt.

Damit war die Stimme aus dem Busch aber nicht nur ein Fluchthelfer, sondern es steckte eine komplette Strategie dahinter, und das Ziel war eine Alternativgesellschaft.

Die Stimme aus dem Dornbusch buckelt nicht vor der ewigen Weltordnung. Sie zettelt einen Aufstand an gegen die Unveränderlichkeit, gegen das Sakrale an der damaligen Weltordnung.

Dieser Gott war kein Steigbügelhalter der Pharaonen. Er stand nicht auf der Seite der Herren dieser Welt. Er ist ein Gott der Zwangsarbeiter, und damit ist er eine Gefahr für die Mächtigen der Erde.

Israels Recht als Exodus-Recht

Weil die Grundlage für die Existenz Israels die Befreiung aus der Sklaverei ist, darum wird das Recht in Israel ein Exodus-Recht. Selbstverständlich hat dieses Recht durchaus Anklänge an das orientalische Recht der damaligen Zeit, aber es hat eben auch entscheidende Unterschiede, die das Rechtssystem Israels so absolut einzigartig machen.

Normalerweise liegt das Recht in der damaligen Zeit einzig und allein beim König. Der König ist absolutistischer Alleinherrscher. Er bestimmt, was Recht ist, und er steht als Schöpfer des Rechts über dem Recht. Gegen den König kann man sich auf kein Recht berufen.

Anders in Israel. Dort gibt es im Gesetz des Mose ein Königsgesetz (Deut 17,14ff). Der König stand unter dem Gesetz. Infolgedessen gab es in Israel, zumindest nominell, auch immer ein zweigeteiltes Recht: Der König und die Priester waren in gewisser Hinsicht gleichgestellt.

Der König konnte in Israel keineswegs machen, was er wollte. Von Pharaonen hatte man die Nase voll. Und wenn die Struktur des Staates das Recht nicht gegen den König durchsetzen konnte, so hat mitunter Gott selber eingegriffen und hat das Recht gegen den König durchgesetzt. Siehe bei Davids Umgang mit Bathseba und Uria oder bei dem Versuch des Königs Usia, sich gleichzeitig als König und als Priester zu betätigen.

Diese Form der Gewaltenteilung ist völlig einmalig im Altertum, und über die Anweisungen des Königsgesetzes für den israelitischen König hätte man in anderen Königreichen nur gelacht. Nicht so viele Frauen, nicht so viele Pferde!

Sklavenrecht

Weil Gott die Israeliten aus der Sklaverei befreit hat, darum ist das Sklavenrecht in Israel völlig einmalig und mit nichts in der damaligen Welt vergleichbar.

Wobei es insbesondere darum ging, dass kein Israelit länger als 6 Jahre Sklave sein sollte. Und anschließend alle Chancen bekam, sich wieder als freier Bürger im Land niederzulassen.

Die Prägung durch die Stimme aus dem Busch war so stark, dass es in Israel eine Bestimmung gab, die gegen jedes internationale Recht verstieß und besagte, dass man einen geflohenen Sklaven auf keinen Fall wieder seinem ehemaligen Herrn ausliefern durfte (Deut 23,16).

Selbst Sklaven aus anderen Völkern, die man in Israel zeitlos unbeschränkt haben durfte, mussten an den zentralen Segnungen Israels wie dem Sabbat und den Festen vollumfänglich beteiligt werden, und es gab umfangreiche Bestimmungen zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit dieser ausländischen Sklaven.

Einen Artikel über die genauen biblischen Bestimmungen bezüglich der Sklaven finden Sie ebenfalls in diesem Lexikon, genau wie der vorliegende Artikel unter dem Buchstaben „S“. Darum wird an dieser Stelle nicht weiter auf die einzelnen Regelungen eingegangen.

Missachtung

Bezeichnend ist, dass die Trennung von Nord- und Südreich nach dem Tode Salomos sich genau an der Frage der Zwangsarbeit entschied. Die ganze Haltung Salomos wird darin deutlich, dass er zwarDornbusch den Tempel Gottes (und gleich nebendran seinen eigenen pompösen Palast) bauen ließ, aber offenbar meinte, diese Tat des Gehorsams nicht ohne ein umfangreiches System von Fronarbeit bewerkstelligen zu können.

Auch der Untergang Jerusalems wird u.a. damit begründet, dass die Israeliten angesichts höchster Bedrohung tatsächlich der Anweisung Gottes Folge geleistet hatten und alle ihre (widerrechtlich versklavten) hebräischen Sklaven freigelassen hatten, aber als die feindliche Armee daraufhin abgezogen war, hatten sie diese Sklaven postwendend zurückgeholt und wieder zu Sklaven gemacht (Jeremia 34,8ff). Daraufhin kündigte Gott diesen Leuten seinen Schutz auf.

Zusammenfassung

Die Bibel stellt die Existenz der Sklaverei als Teil der ewigen Weltordnung genauso wenig in Frage wie alle anderen Gesellschaften des Altertums.

Aber das Alte Testament macht deutlich klar, dass es eigentlich nicht Gottes Wille ist, dass ein Mensch unterdrückt ist, versklavt, unfrei und ausgebeutet.

Allerdings ist die Bedingung, dass dieser Wille Gottes zum Tragen kommt, die Zugehörigkeit zu Gottes Reich. Wer zu denen gehört, die Gott aus Ägypten befreit hat, der soll nie wieder Sklave sein. Weil mit einer neuerlichen Versklavung das Werk Gottes für die Katz gewesen wäre.

Eine Wertung der gesellschaftlichen Ordnung der anderen Völker gibt die Bibel nicht ab. Den anderen Völkern fehlen die Voraussetzungen für eine solche Freiheit und für ein solches Gesellschaftssystem wie in Israel: Die persönliche Anwesenheit und Aufsicht Gottes, die mit einem umfangreichen Segen verbunden ist.